Altersgerechte Computerspiele: Suchtrisiken erkennen und verringern

Obwohl Computerspielsucht eine anerkannte Krankheit ist, fehlen insbesondere im Bereich des Jugendmedienschutzes wirksame Präventionsstrategien. Prof. Dr. Florian Rehbein hat eine Checkliste entwickelt, mit der sich das Suchtrisiko digitaler Spiele systematisch bewerten lässt. 

Den ersten Kontakt zu digitalen Spielen auf dem Smartphone oder Computer haben die meisten jungen Menschen heute bereits vor dem Grundschulalter. „Lebensbiographisch kommen Kinder viel früher mit Computerspielen in Berührung als mit allen anderen Konsumangeboten, die potenziell zu einer Konsumstörung führen können. Gleichzeitig ist der Schutz von Spielerinnen und Spielern sehr mangelhaft, da die Alterskennzeichen der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) suchtrisikofördernde Merkmale in Spielen allenfalls auszugsweise berücksichtigen. Dadurch erhalten viele Spiele eine zu geringe Altersfreigabe“, erklärt Prof. Dr. Florian Rehbein, Professor für Suchthilfe und Suchtprävention am Fachbereich Sozialwesen der FH Münster. Die USK ist in Deutschland für die Prüfung von Computerspielen zuständig. Gemeinsam mit Expert*innen aus Iowa, Amsterdam und Lübeck hat Rehbein ein wissenschaftliches Instrument entwickelt, mit dem suchtfördernde Merkmale digitaler Spiele standardisiert erhoben und bewertet werden können. Die 18-seitige Risk Characteristics Checklist for Games (RCCG) funktioniert wie ein Fragebogen und ist online abrufbar.

Der Fragebogen erfasst unter anderem, inwieweit ein digitales Spiel strukturelle Ähnlichkeit zu Glücksspielangeboten und risikoerhöhende Spielmerkmale aufweist. Hieraus lassen sich ein Gesamtrisikoscore des Spiels sowie die zu empfehlende Alterseinstufung ableiten. Als besonders abhängigkeitsfördernd gelten Spiele mit komplexen Belohnungssystemen, also ineinandergreifenden und häufig miteinander verzahnten virtuellen Belohnungen. Hinzu kommen weitere Merkmale, wie etwa die Möglichkeit, bereits erworbene Belohnungen auch wieder zu verlieren, Auszeichnungen für besonders zeitintensives Spielverhalten zu erhalten und die Frage, wie stark das Spiel die soziale Vernetzung von Spieler*innen untereinander anregt oder sogar einfordert. Als relevant gilt zudem, inwieweit Spieler*innen Geld für Spielitems einsetzen können.

Das Problem laut Rehbein: „Bei vielen Spielen ergibt eine Überprüfung mit unserer Checkliste, dass diese für Kinder freigegeben sind, gleichzeitig aber zahlreiche problematische und risikoerhöhende Merkmale aufweisen. Mögliche schadensminimierende Maßnahmen werden hingegen häufig nicht umgesetzt.“

Es fehle insbesondere an strukturellen Präventionsmaßnahmen. Das sind Schutzmaßnahmen, die nicht das Verhalten adressieren, sondern vielmehr die krankheitsauslösenden Verhältnisse selbst, in diesem Fall die Ausgestaltung der Spielprodukte sowie deren Zugänglichkeit und Vermarktung. „Um nur ein Beispiel zu nennen: Ich spreche mich schon lange dafür aus, Selbstsperren, wie wir sie aus dem Glücksspielbereich kennen, auch für Computerspiele verfügbar zu machen. Damit könnten Spielerinnen und Spieler ihren eigenen Spielaccount für eine gewisse Zeit freiwillig sperren, wenn das Spielen zu stark zu entgleiten droht“, so der Professor. „Ähnlich ließen sich auch Selbstbegrenzungen für finanzielle Ausgaben im Zusammenhang mit der Computerspielnutzung realisieren.“

Mit der RCCG möchten er und seine Mitautor*innen dazu beitragen, dass die produktseitigen Risiken stärker gesellschaftlich diskutiert und konkret greifbar werden. „Die Debatte über mögliche Risikomerkmale von Spielen erfolgt meist recht abstrakt und beschränkt sich im Falle von Konkretisierungen häufig auf plakative Einzelmerkmale wie die viel diskutierten Lootboxen. Es gibt jedoch auch viele Personen, die die Kontrolle über ihr Spielverhalten in Spielen verloren haben, in denen es überhaupt nicht um den Kauf von Spieleitems geht. Hier muss die Debatte verschiedenen Produktrisiken und Typen von Spielerinnen und Spielern unbedingt gerecht werden.“

Gleichzeitig ist Rehbein wichtig zu betonen, dass Computerspiele nicht zwangsläufig risikobehaftet sein müssen. „Es gibt auch viele kreative und meisterlich umgesetzte Spiele, die im Hinblick auf ihr Risikoprofil verhältnismäßig unkritisch ausfallen. Computerspiele generell als gesundheitsschädlich zu labeln, wird der Sache nicht gerecht.“ Allen Beteiligten müsse aber deutlicher werden, wie Computerspiele für verschiedene Altersgruppen beschaffen sein können, damit ein kontrolliertes und lebensbereicherndes Spielen möglich ist.

Die RCCG ist in deutscher und in englischer Sprache im Open Access frei verfügbar und universell nutzbar: Jedes digitale Spieleangebot kann damit bewertet werden. Wichtig ist, dass die Personen, die den Fragebogen ausfüllen, das jeweilige Spiel selbst gut kennen. Die durch die Checkliste gewonnenen Erkenntnisse könnten künftig sowohl im Jugendmedienschutz als auch in der Entwicklung von Präventionsmaßnahmen eingesetzt werden. Zudem soll die RCCG als Hilfestellung für pädagogische Fachkräfte dienen, um mit Kindern und Jugendlichen konkreter über ihr Spielverhalten sprechen und reflektieren zu können.

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