Rassismus zum Thema machen: Masterarbeit mit Hochschulpreis ausgezeichnet

Ellen Bogorinsky untersuchte in ihrer Masterarbeit, wie Jugendliche, die in stationären Wohngruppen leben, Rassismus wahrnehmen und erleben. Dafür machte sie Jugendliche zu Co-Forscher*innen. Für ihren partizipativen Forschungsansatz erhielt sie den Hochschulpreis der FH Münster.

„Inwieweit junge Menschen in Wohngruppen der Jugendhilfe Rassismus erfahren, wurde bisher noch nicht wissenschaftlich untersucht. Ich war selbst einige Jahre als Fachkraft in der stationären Jugendhilfe tätig und finde es wichtig, dass sich auch weiße Personen mit dem Thema auseinandersetzen“, sagt Ellen Bogorinsky. Sie hat den Master Jugendhilfe – Konzeptionsentwicklung und Organisationsgestaltung an unserer Hochschule studiert. Für ihre Abschlussarbeit machte sie zwei Jugendliche aus Recklinghausen zu Co-Forscher*innen.  

Ganz bewusst entschied sie sich für ein partizipatives Forschungsdesign: „In der Sozialen Arbeit hat Partizipation eine sehr große Bedeutung, bisher aber eher in der Praxis als in der Wissenschaft. Partizipative Forschung beteiligt Menschen an Forschung, die aus der untersuchten Lebenswelt kommen. Die sogenannten Co-Forscher*innen erhalten so die Möglichkeit, das Forschungsdesign aktiv und richtungsweisend aus ihrer Perspektive mitzugestalten“, erklärt die 29-Jährige, die mittlerweile als Referentin für wissenschaftliche Weiterbildungen an unserer Hochschule arbeitet.

Um Mitforschende für ihre Masterarbeit zu finden, fragte die Absolventin mehrere Einrichtungen der stationären Jugendhilfe an. Die Evangelische Jugendhilfe Recklinghausen zeigte großes Interesse und unterstützte sie bei der Suche. „Zwei Jugendliche aus unterschiedlichen Wohngruppen meldeten sich freiwillig. Emircan und Tabea waren zu dem Zeitpunkt 15 und 17 Jahre alt “, erzählt die Hochschulpreisträgerin. „Vor unserem ersten Treffen war ich aufgeregt und gespannt, wer die beiden wohl sind und was sie motiviert, an der Forschung mitzuwirken. Nach einem ersten Kennenlernen in einem Werkstatttreffen haben wir uns anschließend auf eine gemeinsame Forschungsreise begeben.“

Die beiden Co-Forscher*innen Emircan und Tabea gestalteten nicht nur das Forschungsdesign mit, sondern führten in der Erhebungsphase auch eigenständig zehn Interviews mit Kindern und Jugendlichen aus anderen Wohngruppen in Recklinghausen durch. Den Interviewleitfaden entwickelten sie zusammen mit Bogorinsky, die den gesamten Prozess anleitete und begleitete. Gefragt wurde nach verschiedenen Dimensionen von Rassismuserfahrungen, zum Beispiel, ob die jungen Menschen selbst Rassismus erlebt oder rassistische Diskriminierungen bei anderen beobachtet haben.

Für die Auswertung der Interviews und eine kritische Reflektion des Forschungsprozesses kamen die drei zu weiteren Werkstatttreffen zusammen. Die Jugendlichen nicht zu überfordern und wissenschaftliche Methoden verständlich zu vermitteln, war für Bogorinsky genauso herausfordernd wie bereichernd: „Es gab einige Momente, in denen bei Emircan und Tabea Skepsis aufkam. Wir diskutierten daraufhin, wieso wir die Forschung eigentlich machen. Darüber zu sprechen, warum das Forschungsthema relevant ist, warum ich diesen Beteiligungsraum für die beiden herstelle und warum es wichtig ist, was die beiden denken, war total spannend.“  

Die vollständige Auswertung und Interpretation der Interviews lag schließlich bei Bogorinsky. Ein wesentliches Ergebnis ihrer Untersuchung: Alle Jugendlichen, sowohl die Befragten als auch die Co-Forscher*innen, berichteten von Erfahrungen mit Rassismus, auch wenn sie in den meisten Fällen nicht selbst betroffen waren. Zudem wurde deutlich, dass die Kinder und Jugendlichen häufig unsicher sind, wie sie in Situationen reagieren können, in denen sie Rassismus wahrnehmen. Sie verorteten diese vor allem im Kontext der Institution Schule und äußerten überwiegend, dass sie in ihren Wohngruppen keinen Rassismus erlebt oder beobachtet hätten. „Insgesamt deuten die Interviews darauf hin, dass die Thematisierung von Rassismuserfahrungen im stationären Kontext eher eine Seltenheit als eine Selbstverständlichkeit ist. Die eigene Wohngruppe scheint kein Ort zu sein, an dem Kinder und Jugendliche ihre Erfahrungen oder auch ihre Unsicherheiten besprechen. Das zu verändern, sowohl Fachkräfte als auch junge Menschen für rassistische Strukturen zu sensibilisieren und ihre Kompetenzen im Umgang mit Rassismus zu stärken, wäre ein wichtiger Schritt“. 

Das sieht auch Prof. Dr. Remigius Stork so, der die Abschlussarbeit betreut hat: „Ich habe die Arbeit von Ellen Bogorinsky für den Hochschulpreis vorgeschlagen, weil sie sich mit einem Thema auseinandersetzt, das in der Sozialen Arbeit oft tabuisiert wird. Das Besondere an Ellens Forschung ist, dass sie diese von Anfang bis Ende mit zwei jugendlichen Co-Forschenden durchgeführt hat. Es ist beeindruckend, wie Ellen diese beiden jungen Menschen qualifiziert und begleitet hat und dass am Ende Ergebnisse stehen, die nur aufgrund der Peer-to-Peer-Interviews zustande kommen konnten.“

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