Zehn Jahre nach dem Film „Her“ noch hochaktuell: Forschungsteam untersucht Beziehung zwischen Mensch und Maschine
Am 27. März 2014 kam der Film „Her“ in die deutschen Kinos. Darin verliebt sich ein Mann in die Stimme einer künstlichen Intelligenz. Jetzt, zehn Jahre später, ist das Thema aktueller denn je. Prof. Dr. Julian Löhe erforscht an der FH Münster die Beziehung zwischen Mensch und Maschine.
Prof. Dr. Julian Löhe erforscht an der FH Münster die Beziehung zwischen Mensch und Maschine. (Foto: FH Münster/Wilfried Gerharz)
Zwischen Mensch und Maschine treten ähnliche soziale Effekte auf. Eine soziale Beziehung ist das aber nicht. (Foto: FH Münster/Anna Haas)
Prof. Löhe, können Menschen eine Beziehung mit einer KI eingehen?
Ja. Eine KI ist ein Objekt und dass Menschen Beziehungen mit Objekten haben, ist nichts Neues. Wenn Menschen Objekte lieben und das exzessiv wird, nennt sich das „Objektophilie“. So hat sich eine Schwedin zum Beispiel in den 1970er Jahren in die Berliner Mauer verliebt und diese sogar – nach ihren Vorstellungen – geheiratet. Allerdings war es bislang bei nicht-menschlichen Objekten so, dass keine Interaktion vorhanden war.
Und das ändert sich durch KI?
Richtig. KI-Systeme interagieren mit Menschen und umgekehrt. Das merken wir an Kleinigkeiten – indem wir zum Beispiel digitale Assistenten „bitten“, ein anderes Lied zu spielen oder uns bei ChatGPT bedanken. Es findet also so etwas wie eine soziale Interaktion statt, die Forschung nennt das soziale Reaktion. Eine soziale Beziehung ist das aber nicht.
Sondern?
Genau das untersuche ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen Prof. Dr. Gesa Linnemann von der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho), Standort Köln, und Wirtschaftsinformatikerin Beate Rottkemper. In der Soziologie ist die Wechselwirkung mehrerer Individuen und zwischen Menschen entscheidend, um von einer sozialen Beziehung zu sprechen. Außerdem ist die soziale Präsenz wichtig, also das Gefühl, dass da wirklich jemand ist. Egal, ob Mensch oder Maschine beziehungsweise KI: Es treten dieselben sozialen Effekte auf. Ein Aspekt aber fehlt: die zwischenmenschliche Beziehung, denn die gibt es per Definition – wie der Name schon sagt – eben nur zwischen Menschen. Deshalb haben meine Kolleginnen und ich den Begriff der quasisozialen Beziehung eingeführt.
Was meinen Sie damit?
Damit bezeichnen wir die Beziehung mit sozialem Charakter, die von oder mit einer Maschine beziehungsweise KI eingegangen wird. Es handelt sich also nicht um soziale Beziehungen im herkömmlichen Sinne, wie wir sie zwischen Menschen haben, jedoch um eine Interaktion, die eine vergleichbare Aufgabe erfüllt. Die Interaktionen sind teilweise so ähnlich, dass Menschen auch gar nicht unterscheiden können, ob ihr Chatpartner ein Mensch oder eine KI ist. Der Begriff der quasisozialen Beziehung trägt der Realität Rechnung, dass es zwischen Menschen und Maschinen – vor allem zunehmend KI – zu Beziehungen mit sozialem Charakter kommt: eine quasisoziale Beziehung. Gleichzeitig macht der Begriff mit dem Zusatz „quasi“ deutlich, dass es einen Unterschied zu einer Beziehung zwischen Menschen sowie zwischen Mensch und Maschine gibt.
Warum ist Ihnen diese verbale Differenzierung so wichtig?
Weil Menschen wissen sollten, mit wem sie es zu tun haben – einer KI oder einem anderen Menschen. Das ist besonders wichtig, wenn es zum Beispiel darum geht, Chatbots in Beratung und Therapie einzusetzen. Denn generative KI-Systeme können Menschen in ihrem Antwortverhalten sehr ähnlich sein, agieren jedoch freier – erfinden manchmal auch unwahre Dinge – und setzen vorgegebene Regeln nicht unbedingt um. Das bringt Risiken mit sich. Diese wollen wir minimieren und gleichzeitig die Chancen, die KI bietet, erhöhen. Begrifflich voneinander unterscheiden zu können, womit wir es gerade zu tun haben, ist eine wichtige Voraussetzung dafür. Welche Effekte, Chancen und Risiken Chatbots in Gesundheits- und Sozialberufen haben, untersuchen wir übrigens in einem Forschungsprojekt, das jetzt gestartet ist.