Christian Köder
Christian Köder lehrt das Modul "Vegane Ernährung". In seiner Doktorarbeit befasst sich der Ernährungswissenschaftler mit dem Lebensstil und kardiovaskulären Erkrankungen. (Foto: FH Münster/OEF)

Münster, aktualisiert am 11. Januar 2022 | Zum "Veganuary" präsentieren wir hier noch mal das Interview aus dem Dezember:

Seit er 18 Jahre alt ist, ernährt sich Christian Köder vegan. Mit veganer Ernährung befasst sich der wissenschaftliche Mitarbeiter vom Fachbereich Oecotrophologie · Facility Management auch in der Lehre. Was sind seine persönlichen Motive und was sagen Studien zu veganer Ernährung aus? Dazu äußert sich Christian Köder im Interview.

1,13 Millionen Menschen in Deutschland bezeichnen sich selbst als Veganer*innen, wie eine Allensbach-Erhebung für 2020 ergeben hat. Einer davon bist du.

Christian Köder: Bei solchen Zahlen ist es immer interessant darauf hinzuweisen, dass die Zahl der Leute, die sagen, sie ernährten sich vegan, im Allgemeinen größer ist als die Zahl der Leute, die bei der Frage "Wie oft essen Sie Fleisch/Fisch/Eier/Milchprodukte?" überall "nie" ankreuzen. Diese "Veganer*innen" enthalten also wahrscheinlich auch "Teilzeit-Veganer*innen", vermute ich.

Warum bist du Veganer geworden?

Es gab eigentlich keinen konkreten Auslöser. Der Tierrechtsphilosoph Tom Regan hat es einmal für Vegetarier beschrieben: Bei vielen gibt es ein richtig markantes Schlüsselerlebnis, aber bei anderen passiert es eher irgendwie. Und es gibt natürlich auch Leute, die wachsen schon vegetarisch auf.

Ich wurde zunächst Vegetarier, als ich ungefähr 16 war, weil ich den Gedanken hatte, dass Tiere zu schlachten nicht notwendig und deshalb nicht moralisch akzeptabel ist. Wie die meisten dachte ich damals, dass für Milchprodukte und Eier keine Tiere geschlachtet, sondern nur "gehalten" werden. Aber wenn man sich den ganzen Prozess ansieht, werden diese Tiere am Ende auch geschlachtet. Bei mir war es also ganz konkret der Aspekt, dass Tiere getötet werden.

Milchkühe geben nicht von Natur aus einfach so Milch, sondern erst nach einer Schwangerschaft. Dabei entstehen natürlich Kälber - männliche und weibliche. Einige der weiblichen ersetzen die "ausgedienten" älteren Milchkühe, die ein paar Jahre alt sind. Am Ende werden alle zu Rindfleisch: die Milchkühe und die Kälber.

Es gibt eine ältere Aussage von der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft: In Deutschland wird das meiste Rindfleisch durch Milchkühe und ihre Nachkommen produziert. Dieser Anteil der Rindfleischproduktion aus der Milchindustrie ist nicht in allen Ländern gleich, aber er ist immer ziemlich groß. Es ist gar nicht finanziell tragbar für die Landwirte, Milchkühe eines natürlichen Todes sterben zu lassen, das heißt bis ins höhere Alter durchzufüttern. Das hat auch nichts mit modernen Verhältnissen zu tun oder mit Massentierhaltung. Das war schon damals ausschlaggebend, als Leute in den 1940er-Jahren anfingen, sich vegan zu ernähren.

Bei Hühnern gibt es ja keine Schwangerschaft, aber auch da braucht man Nachkommen. Und dabei entstehen wieder männliche und weibliche Küken. Das Töten der männlichen Küken ist mittlerweile auch in der Allgemeinbevölkerung bekannter. Auch wenn man sie ein paar Tage oder Wochen aufzieht - wie manche Biohöfe das versuchen - tötet man sie danach. Und die Legehennen werden zum Suppenhuhn.

 

Bezieht sich dein Veganismus nur aufs Essen?

Das ist vielleicht nochmal was Interessantes in Bezug auf die "Zahl der Veganer". Es gibt Leute, die sich zwar immer konsequent vegan ernähren, die aber zum Beispiel Leder oder Wolle verwenden. Bei Wolle ist es ähnlich wie bei Milch und Eiern: Wenn man sich den ganzen Prozess ansieht, merkt man, dass auch diese Tiere geschlachtet und oft verletzt werden - diese Industrien sind nicht klar zu trennen von der Fleischindustrie.

Es gibt also Leute, für die sich "vegan sein" nur rein auf die Ernährung bezieht. Besonders in den USA scheint das weit verbreitet zu sein. Es gibt ja auch verschiedene Motivationen, unter anderem gesundheitliche oder religiöse oder Umweltschutzgedanken oder eben tierethische. 

Mir scheint, dass in der sogenannten westlichen Welt eine Mehrheit der Veganer*innen auf irgendeine Art tierethisch motiviert ist. Zu dieser großen und auch recht diversen Gruppe würde ich mich auch zählen. Ich persönlich verwende auch kein Leder, keine Wolle und so weiter. Die Ernährung ist nur ein Aspekt, aber eben ein sehr zentraler, weil hier so viele tierische Produkte verwendet werden.

Wie stehen vegane Ernährung und Nachhaltigkeit zueinander?

Das ist auch ein enorm komplexes Thema. Man müsste erst einmal Nachhaltigkeit definieren. Ich war vor Kurzem auf einem Nachhaltigkeitskongress und ich stellte einem Redner eine ganz konkrete Frage zu Reisanbau und Wasserverbrauch. Die  Antwort war, dass man das eigentlich kaum beantworten könne, weil es zu komplex sei.

Aber um einige Aspekte dennoch anzusprechen: Im Allgemeinen entstehen für vegane Ernährung deutlich weniger CO2-Emissionen. Die Lederindustrie ist aufgrund der Gerbereien eines der größten Umweltprobleme der Welt. Das Verfüttern von Soja und Getreide an Nutztiere hat schwerwiegende Auswirkungen in verschiedenen Bereichen. Und die Regenwaldabholzung, die damit in Zusammenhang steht, sowie die Massentierhaltung an sich und auch der Antibiotikaeinsatz haben alle ein hohes Gefahrenpotenzial in Bezug auf neue Pandemien. Und dass das Züchten von Wildtieren wie etwa Pangolins auf Farmen gefährlich sein könnte, hat sich mit der Coronapandemie gezeigt.

Natürlich ist nicht alles, was vegan ist, umweltfreundlich. Es ist ja auch nicht alles, was vegan ist, automatisch gesund - wie zum Beispiel Cola, Pommes und vegane Donuts.

 

Bestimmte Nährstoffe sind durchaus kritisch. Was weiß man dazu aus Studien?

Ich finde, man sollte immer in beide Richtungen fragen, das heißt nach Vor- und Nachteilen. Man sollte auch verstehen, dass für viele und wohl die meisten Veganer*innen vegane Ernährung keine Wunderdiät ist. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, kurz DGE, macht zum Beispiel die Aussage, dass sie eine vegane Ernährung nicht empfiehlt. Aber das ist ja nicht die gleiche Aussage wie, dass die DGE empfiehlt, sich nicht vegan zu ernähren.

Aus Studien weiß man, schon seit den 1950er-Jahren, dass Veganer*innen Vitamin B12 supplementieren sollten. Aus Studien ist auch bekannt, dass es andere kritische Nährstoffe geben kann, besonders Kalzium, Vitamin D und Jod. Es gibt vegane Quellen, aber auf die muss man achten. Unbekannt ist, ob langkettige Omega-3-Fettsäuren in Form von Mikroalgenöl, das vegane Äquivalent zu Fischöl, irgendwelche positiven oder negativen Effekte für Veganer*innen haben. Veganer sind dagegen meistens besser versorgt mit bestimmten anderen Mikronährstoffen wie zum Beispiel Kalium, Magnesium, Vitamin C und Folat.

Die Studienlage zeigt noch nicht so viel, aber sie deutet darauf hin, dass vegane Ernährung im Allgemeinen das Krebsrisiko senken könnte. Das ist natürlich nicht hundertprozentig sicher, aber interessant, weil die Studienlage zur Ernährung allgemein und Krebsprävention bisher relativ enttäuschend ist. Überraschenderweise zeigt die Studienlage kein eindeutig niedrigeres Risiko für Herzinfarkt. Das könnte zum Teil auch an einer Unterversorgung vieler veganer Studienteilnehmer*innen mit Vitamin B12 und vielleicht auch Vitamin D liegen. Es könnte auch an ganz anderen, eventuell ernährungsunabhängigen Faktoren liegen. Besonders Diabetes scheint bei Veganer*innen weniger oft vorzukommen. Wie gesagt, es ist nicht alles gesund, was vegan ist.

Zu sportlicher Leistungsfähigkeit zeigen sich bisher keine klaren Vor- oder Nachteile. Wichtig ist, dass besonders vegane Frauen auf das Vermeiden von Untergewicht und eine ausreichende Zufuhr von Kalzium und Vitamin D achten sollten, um die Knochen zu schützen. Ebenfalls ist wichtig, dass Vitamin-B12-Mangel wahrscheinlich das Schlaganfallrisiko erhöhen kann. Veganer*innen sollten aber sowieso auf Vitamin B12 achten. Wie schon lange bekannt, ist Vitamin B12 der wichtigste Nährstoff, über den Veganer*innen informiert sein sollten. Die "Vegan Society", die Organisation aus England, deren Gründer*innen das Wort "vegan" geprägt haben, empfiehlt für erwachsene Veganer*innen ein Supplement mit 10 bis 20 Mikrogramm Vitamin B12 pro Tag oder eines mit 2000 Mikrogramm pro Woche. Diese Einschätzung teile ich.

 

In den Supermarktregalen finden wir einige Produkte, die als vegan deklariert werden, obwohl man darin ohnehin keine tierischen Bestandteile vermuten würde. Was hat es mit dieser Kennzeichnung auf sich?

Zum einen gibt es Lebensmittel, wie Apfelsaft oder Wein, bei denen man denken würde, sie sind doch automatisch rein vegan. Sie müssen es aber genau genommen nicht sein. Der Grund ist, dass zur Klärung dieser Getränke manchmal Gelatine verwendet wird. Diese Gelatine ist dann aber nicht mehr im Getränk enthalten. Da ist man schnell bei der Erkenntnis angekommen, dass die Grenze zwischen 99,5 % und 100 % vegan eine Grauzone ist - und jede*r Veganer*in entscheidet selbst, wie sie oder er mit dieser Grauzone umgeht.

Tierische Bestandteile können sich fast überall finden, zum Beispiel im Kleber der Etiketten von Bierflaschen oder in Fahrradschläuchen. Niemand kann das also hundertprozentig umsetzen und das wäre, finde ich, auch nicht sinnvoll, sondern Zeitverschwendung. Aber viele Veganer*innen bevorzugen Alternativen, auf denen explizit vegan steht.

Interessanterweise scheint ein solches Logo aber auch bei vielen Nicht-Veganer*innen als positiv wahrgenommen zu werden. Soweit ich weiß, ist das der Grund, warum viele Unternehmen diese Logos sogar auf Produkten verwenden, die eigentlich immer vegan sind. Vor zehn Jahren war das noch anders. Mir hat damals jemand von einem der größten rein veganen Lebensmittelhersteller gesagt, dass sie das Wort vegan nicht auf die Packung schreiben, weil das abschrecke. Ich kenne mich da nicht besonders gut aus, aber soweit ich weiß, sind alle richtigen Vegan-Logos kostenpflichtig für die Firmen, aber einfach das Wort "vegan" natürlich nicht.

Vielleicht sollte man noch erwähnen, dass das im Deutschen oft verwendete "rein pflanzlich" zwar für bestimmte Produkte und Lebensmittel Sinn ergibt, aber nicht für vegane Ernährung. Wichtig ist das so, weil Vitamin B12 kein bisschen pflanzlich ist. Interessant ist vielleicht auch, dass der Begriff "pflanzenbasiert" von manchen Leuten so verwendet wird, dass er "veganes Essen" oder "vegane Ernährung" bedeutet. Von vielen anderen wird er aber so genutzt, dass er "auf pflanzlicher Basis" bedeutet. Eine pflanzenbasierte Ernährung kann dieser Definition zufolge also vegan oder vegetarisch oder aber auch nicht vegetarisch sein. Manchmal ist es also gut zu fragen: Was meinst du mit "pflanzenbasiert"? 

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