Anna Brinkmann
Anna Brinkmann forscht am Kompetenzzentrum Humanitäre Hilfe.

Münster (23. August 2016). Am kommenden Mittwoch berät die Bundesregierung ein Konzept zum Bevölkerungsschutz. Darin wird unter anderem privaten Haushalten empfohlen, für den Krisenfall Vorräte für mehrere Tage zu haben. Wissenschaftler der FH Münster sehen darin keinerlei Anlass zu Panik und zu Hamsterkäufen.

Wir haben mit Anna Brinkmann über die Empfehlung gesprochen. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin von Prof. Dr. Joachim Gardemann am Kompetenzzentrum Humanitäre Hilfe und am Fachbereich Oecotrophologie · Facility Management. Brinkmann forscht aktuell in einem Projekt zu Fragen der Ernährungsnotfallvorsorge. Es wird vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gefördert.

 

Frau Brinkmann, warum will die Bundesregierung gerade jetzt private Vorratshaltung fördern?

Seit vielen Jahren wird über eine Reform der Ernährungsnotfallvorsorge in Deutschland debattiert. Die jetzige Reform ist daher längst überfällig und es gibt dafür überhaupt keinen aktuellen politischen Anlass, wie in den Medien spekuliert wird. Im Grunde genommen ist die Empfehlung der Bundesregierung zur Vorhaltung von Lebensmitteln nicht neu. Bereits 2012 forderte der Bundestag die Regierung zu einer Reform auf. Seit Jahren finden sich beispielsweise auf der Website des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft im Rahmen der Ernährungsnotfallvorsorge Ratschläge und Empfehlungen zur privaten Vorsorge. Dort wird sogar noch zu einer Bevorratung von 14 Tagen geraten.

Auch im Kompetenzzentrum Humanitäre Hilfe der FH Münster beschäftigen wir uns schon länger mit diesem Thema. Die Arbeit zu diesem Bereich fing bereits nach dem Schneechaos im Münsterland 2005 an, dazu folgte im Jahr 2006 eine Bevölkerungsbefragung zum Bevorratungsverhalten sowie der Selbsthilfefähigkeit der betroffenen Haushalte.

Im August 2012 startete dann das Verbundprojekt "Neue Strategien der Ernährungsnotfallvorsorge", welches sich mitunter dem Thema der Bevölkerungsvorsorge widmete. Ganz aktuell arbeiten wir im Kompetenzzentrum Humanitäre Hilfe zusammen mit der FU Berlin an einem internationalen Vergleich, in dem auch die Empfehlungen zur privaten Vorsorge von Bedeutung sind.

Die Diskussion um das Thema der privaten Vorsorge besteht also schon länger, und eine Erneuerung der momentan bestehenden Strukturen ist auch in Bezug auf die private Vorsorge erforderlich.

 

Die Pläne zum Bevölkerungsschutz sehen vor, dass jeder Haushalt Lebensmittelvorräte für 10 Tage hat. Wie handhaben das andere Länder?

International sind unterschiedliche Konzepte zu finden, in denen Staat, Privatwirtschaft, Hilfsorganisationen und Bevölkerung verschieden stark Verantwortung tragen. Dabei ist die Bevölkerung mal mehr, mal weniger gefragt.

In Neuseeland, den USA und in Kanada beispielsweise empfehlen die Regierungen einen persönlichen Vorrat für 72 Stunden beziehungsweise drei Tagen bis zu einer Woche. Um die Bevölkerung möglichst gut vorzubereiten, finden viele Veranstaltungen, wie die sogenannte Preparedness Week sowie eine sehr proaktive Information der Bevölkerung zum Beispiel über das Fernsehen statt. Auch viele Schulen thematisieren die private Katastrophenvorsorge im Unterricht.

Als Grund für die private Vorratsempfehlung von drei Tagen wird häufig die Zeitspanne genannt, die es im Notfall in Anspruch nehmen könnte, um die notwendigen Hilfsstrukturen auszubauen und die betroffene Bevölkerung zu erreichen. Auch die schweizerische Regierung fordert die Bürger aus ebendiesem Grund zum Vorhalten eines persönlichen Lebensmittelvorrats im Umfang von zehn Tagen auf.

Der Einbezug der Bevölkerung zur Absicherung der Lebensmittelversorgung in Krisen und Katastrophen ist international häufig. Die Empfehlungen zum Umfang der Vorsorge sowie das Maß der Information zum privaten Notvorrat variieren jedoch.

 

Das Schneechaos im Jahr 2005 hat das Münsterland stark getroffen und zu einem Engpass in der Versorgung mit Lebensmitteln geführt. Haben wir daraus gelernt?

Im Allgemeinen zeigt sich, dass es meist schwierig ist, die Bevölkerung im vollen Umfang zur Einlagerung eines privaten Vorrats zu motivieren. Das hat verschiedene Gründe, beispielsweise die ständige Verfügbarkeit von Lebensmitteln auf dem Markt: sieben Tage die Woche, rund um die Uhr sowie die zunehmend geringere Wohnfläche pro Person. Aber auch psychologische Gründe sind von Bedeutung.

Der Großteil der Bevölkerung in Deutschland ist nicht von Krisen- und Katastrophensituationen betroffen. Zudem werden seltene aber doch weitreichende Krisen- und Katastrophenszenarien gerne als so unwahrscheinlich betrachtet, dass die eigene Betroffenheit als geradezu unmöglich wahrgenommen wird.

Auch in der Bevölkerungsbefragung in Bezug auf die private Vorsorge zeigte sich dieses Phänomen. Selbst Bürger, die während des Schneechaos stark betroffen waren, hatten zum Zeitpunkt der Befragung (etwa ein Jahr später) keine Notfallversorgung im Haus. Sie hielten es einfach zu unwahrscheinlich, noch einmal in eine ähnliche Situation zu geraten.

Während des Schneechaos im Münsterland hätte vermutlich so mancher gern auf eine persönliche Reserve an Lebensmitteln zurückgegriffen. Ein kleiner Notvorrat, wie drei Dosen Ravioli und ein paar Kerzen mit Streichhölzern, könnte also doch ganz nützlich sein. Es muss nicht um große Katastrophen gehen.

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