Die schlaue Tasche

Bachelorarbeit von Anna Oestreich bringt mehr Selbstständigkeit für Menschen mit Behinderung


Münster/Essen (8. April 2022). Vor dem Verlassen der Wohnung sendet die Tasche „loom“ ein Signal, weil beispielsweise die Geldbörse fehlt. Diese schlaue Tasche hat Anna Oestreich am Fachbereich Design der FH Münster, der Münster School of Design (MSD), für ihre Bachelorarbeit konzipiert, und mancher mag denken: Was für eine charmante Idee. Doch tatsächlich ist „loom“ das Resultat eines ergebnisoffenen Gestaltungsprozesses – gemeinsam mit Menschen mit Behinderung. Die Methode des partizipativen Gestaltens hatte Oestreich schon im Projektseminar bei Prof. Carolin Schreiber kennengelernt.

Anfangs habe sie am Tagesablauf ihrer sogenannten Co-Designer*innen beobachtend teilgenommen. „Das Smartphone zum Beispiel ist ein elementares Werkzeug für einen selbstständigen Alltag von Menschen mit kognitiven Einschränkungen – es muss einfach immer dabei sein“, sagt die Absolventin. Sich aber am Morgen beim Bestücken der Tasche an persönliche Dinge zu erinnern, um mit dem Bus zur Arbeit zu fahren, sei eine Herausforderung, die einen langen Übungsprozess mit Betreuer*innen erfordert. Ziel des Projektes war es also, ein Produkt zu entwickeln, das das eigenständige Taschepacken trainiert und langfristig unterstützt. Gemeinsam mit fünf Beschäftigten der Franz Sales Werkstätten in Essen im Alter zwischen rund 20 und 50 Jahren erkundete Oestreich zunächst in Workshops die Bedürfnisse und Wünsche der Co-Designer*innen, um sie immer besser verstehen zu lernen. Welche Gegenstände transportieren sie unterwegs, wie sollte signalisiert werden, wenn alles da ist oder fehlt, und wie sollte die Tasche gestaltet sein, damit sie auch einfach zu handhaben ist?

„Am Ende war es sehr schön, den Betreuer*innen die Ergebnisse zu präsentieren“, erzählt Oestreich. „Einige waren überrascht und haben zugegeben, dass sie das Projekt zunächst unterschätzt hatten.“ Die Tasche verfügt über ein Lichtmodul, in dem die gesamte Technik verbaut ist: ein individuell von den Nutzer*innen programmierbarer Reader und Lautsprecher. Rot leuchtet es, wenn etwas von den mit RFID-Stickern präparierten persönlichen Dingen fehlt, und grün, wenn die Tasche vollständig gepackt ist. Mit diesem Licht sind die Träger*innen auch für andere gut in der Dämmerung zu sehen. Wichtig war den Co-Designer*innen, dass die Tasche nicht wie ein Rucksack zu tragen ist. Stattdessen liegt sie mit einem breiten Gurt über der Schulter – eng am Körper und gut zu überblicken. Beide Hände bleiben frei, um problemlos an die vielen Innentaschen zu gelangen und sie wieder schließen zu können. „Das Schnittmuster habe ich bewusst simpel gestaltet, sodass die Tasche theoretisch in den Franz Sales Werkstätten gefertigt werden kann.“ Das Nähen des Prototyps hat Oestreich dann selbst übernommen.

Noch gibt es nur ein Unikat. Sie würde sich freuen, wenn sich ein Team finden würde, das Projekt zu realisieren: für Menschen mit Behinderung, aber auch für Ältere und Jüngere – eben für alle, denen das Konzept ein wenig mehr Sicherheit bietet. „Ich brenne einfach für die Idee, Menschen durch Design zu befähigen, damit sie unmittelbar Erfolgserlebnisse erfahren und über sich selbst hinauswachsen können“, erklärt Oestreich. „Mit Dingen wie ‚loom‘ schaffen sie etwas auf einmal ganz allein, werden eigenständiger, fühlen sich sicherer und lernen, dass sie sich auf sich selbst verlassen können.“ Dass sie mit ihrer Arbeit als Designerin etwas bewegen kann, dies habe das Projekt erneut bestätigt. Und ist auch zukünftig ihr Anspruch: Berufsbegleitend zum Masterstudium wird sie im Forschungsprojekt „Arbeiten wie ich es will – Empowerment für Menschen mit Schwerbehinderung“ wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team von Prof. Carolin Schreiber.




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