Mit „Hokus-Fokus“ in die Erholung
Design-Studentin Nora Karl entwickelt Konzept für künstlerisch ambitionierte Rentnerin, weil Reisen für sie nicht möglich sind
Einen Kreativurlaub für ihre „Co-Designerin“ Gitta hat die Designstudentin Nora Karl (l.) entwickelt. Das Konzept „Hokus-Fokus“ besteht aus viel Zeit sowie einem Kunstgenerator und Minidrucker. (Foto: FH Münster/Anne Holtkötter)
Von ihren Bildern war Gitta begeistert: „Ein Pinsel macht mich glücklich.“ (Foto: Nora Karl)
Münster (27. August 2021). Gitta, 71 Jahre alt, verreist schon seit einigen Jahren nicht mehr, und auch ihren Balkon betritt sie nicht. Der ungenutzte Balkon sorgte für den ersten Kontakt zwischen Nora Karl und ihrer Nachbarin und war ein interessanter Startpunkt im Kurs „Balkonien – Urlauben zuhause“ bei Prof. Carolin Schreiber am Fachbereich Design der FH Münster, der Münster School of Design (MSD). Zum Kurskonzept gehört, dass sich die Bachelorstudierenden Co-Designer*innen mit ins Boot holen – anhand ihrer individuellen Situation, Werte und Wünsche entwickeln die Studierenden Ideen.
„Mit Gitta als Co-Designerin zusammenzuarbeiten entpuppte sich für mich als ein Projekt im Spannungsfeld von Soziologie, Psychologie und Produktdesign“, erklärt Nora Karl. „Durch verschiedene Methoden, wie gemeinsame Workshops in den wöchentlichen Treffen, habe ich herausgefunden, dass Gittas Urlaub zuhause nicht die klassische Erholung auf dem Balkon ist, sondern dass für ihre erfüllende Zeit auch die künstlerische Aktivierung gehört. Gitta ist in ihrer Vergangenheit mit Leidenschaft kreativen Aufgaben nachgegangen. Durch gesundheitliche Einschränkungen haben sich diese Aktivitäten komplett aus ihrem Alltag verabschiedet.“ So entstand aus dem Projekt Balkonien die Idee, Gittas kreative Fähigkeiten zu reaktivieren.
„In der Wohnung habe ich sofort gesehen, dass Gitta Farben liebt, die Wände sind reich bebildert, vor allem hat sie früher viele Collagen hergestellt und Mandalas gemalt. Darum drehten sich auch die Gespräche immer wieder“, erzählt die Nora Karl. „Ich habe dann in der Küche getestet, ob sie wieder Freude daran bekommen könnte, kreativ zu sein. An unseren Mittwochnachmittagen konnte ich merken, wie – neben dem Spaß, den sie hat – ihr Selbstbewusstsein davon profitiert. Es macht sie lebendig, sie ist mental fitter, ihr Gedächtnis wird trainiert. Wichtig war mir nun, eine Lösung zu finden, wie sie selbstständig kreativ sein kann, und dafür wollte ich ihr ein Tool an die Hand geben.“ Das Ergebnis heißt „Hokus-Fokus“.
Im Mittelpunkt stehen zwei Produkte: „Hokus“ ist ein interaktiver Minidrucker, der Gittas Alltag strukturieren soll, indem er selbstständig regelmäßige Impulse gibt, um Gitta aktiv werden zu lassen. Er „spuckt“ dann die von Nora Karl vorgefertigten Kreativ-Aufgaben aus. Vor allem erinnert er daran, mit „Fokus“ ein kleines Kunstwerk zu fertigen. "Fokus" ist eine „Kunstmaschine“, die die Studentin als Prototyp in Anlehnung an die Farbschleuder mit Drehscheibe für Kinder aus einem Kit gebaut und mit einem Servomotor ausgestattet hat. Die Scheibe kann Gitta mit Papier bestücken und einfach, indem sie den Pinsel aufs Papier hält, Kunstwerke zaubern. Die Malhilfe aktiviert Geist und Feinmotorik. Der Nebeneffekt: Gitta hat Gesprächsstoff, denn sie reflektiert, was sie macht. „Ich hatte eine wunderschöne Zeit mit Nora. Alles, was ich mit ihr machen durfte, hat mich hocherfreut.“ Das erste Bild habe sie regelrecht vom Hocker gehauen, sie war überrascht, welchen Effekt der Pinsel hat. „Ich kann damit wieder selbst Kunst machen“, schwärmt die Erzieherin im Ruhestand. „Ein Pinsel macht mich glücklich.“ Sie zehrte davon über die gemeinsamen Stunden hinaus.
Jetzt, wo die Studentin in den Urlaub fährt, ist sich Gitta nicht sicher, ob es ihr auch alleine gelingt, denn bisher waren die beiden immer zu zweit. Aber auch nach dem offiziellen Abschluss des Projektes wird die Studentin mit Gitta im Kontakt sein und sie ermutigen, am Ball zu bleiben. Denn am Ende war Gittas Erkenntnis für beide die größte Belohnung: „Ich kann noch was, ich bin noch nicht weg.“
Zum Thema:
Die Ausbildung am Fachbereich Design der FH Münster, der Münster School of Design (MSD), schließt das gesamte Designspektrum durch die vier angebotenen Schwerpunkte Kommunikationsdesign, Illustration, Mediendesign und Produktdesign ein. Sie bietet den Studierenden ein ungewöhnlich offenes Feld für experimentelle Gestaltungen und zielbezogene Denkansätze, die optimal für den beruflichen Alltag vorbereiten. Neben dem Bachelorstudiengang Design bietet der Fachbereich den Masterstudiengang Design an.