"Wer Medizintechnik entwickeln und andwenden will, muss sich an internationalen Standards messen, sonst braucht man gar nicht erst anzufangen", sagt Professorin Karin Mittmann, Leiterin des Zentrums für Labormedizinische Technologien der Fachhochschule Münster im westfälischen Steinfurt-Borghorst. "Unsere Ausstattung haben wir daher so aufgezogen, dass wir für die Unternehmen attraktiv sind." Stolz berichtet sie von dem neuen Mikrokalorimeter, mit dem man Bindungsstärken zwischen zwei Proteinen genau Bestimmen kann. Das Verfahren ist für den Aufbau neuartiger Testsysteme zur medizinischen Diagnostik sehr hilfreich. "So etwas gibt es nicht in den regionalen klein- oder mittelständischen Unternehmen." Mit Zielstrebigkeit und Gestaltungslust hat die 38-jährige Biologin und Professorin für Medizinische Bio- und Gentechnik binnen zwei Jahren im Münsterland ein einzigartiges Entwicklungslabor aus dem Boden gestampft. Zum gegenseitigen Nutzen für Forschung und Industrie.
Karin Mittmann ist eine ruhige Frau, die auch am Freitagabend nach einer 60-Stunden-Woche vollkommen entspannt wirkt und einen durch ihre Goldrandbrille mit neugierigen Augen fixiert. Weil sie in die Forschung wollte, studierte sie an der Bochumer Ruhr-Universität nicht Medizin sondern Biologie. Nach der Promotion über molekulare Signaltransduktion im menschlichen Herzmuskel arbeitete sie am Herz- und Diabeteszentrum in Bad Oeyenhausen und bekam mit 32 Jahren als erste Frau den Ruf an den Fachbereich für Physikalische Technik der Fachhochschule Münster.
Die Professur war Wasser auf die Mühlen der ehrgeizigen und technikbegeisterten Forscherin. "Ich hatte schon immer einen Hang zu interdisziplinären Männerdomänen", sagt die Schwester von zwei älteren Brüdern, "und es reizt mich, zu schauen, wie hoch man kommt und wo das Loch in der Decke ist, durch das es weitergeht." Als es galt, im deutsch-niederländischen Grenzgebiet ein Labor zur Entwicklung medizintechnischer Geräte im Bereich der Bio- und Gentechnik einzurichten, sah Karin Mittman die Chance zum Ausbruch aus dem Elfenbeinturm. Innerhalb von zwei Jahren baute sie das Zentrum für Labormedizinische Technologien zum EUREGIO Biotech-Center aus, das finanziell vom NRW-Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr ebenso unterstützt wird wie vom niederländischen Wirtschaftsministerium und der EU.
Klein und mittelständischen Unternehmen im Münsterland und den nahen Niederlanden bietet das Zentrum seither ein einzigartiges Serviceangebot. Neben Schulungsveranstaltungen, etwa zum Thema "Zellkulturtechnik", beraten Karin Mittmann und ihre fünf Mitarbeiter Firmen bei der Entwicklung von technischen Geräten und neuen Diagnosemethoden. Sie helfen bei der Durchführung von Machbarkeitsstudien und stellen ihren Gerätepark zur Verfügung. Im Rahmen des so genannten "Business Support", eines großen, grenzüberschreitenden EUREGIO Biotech-Netzwerks, leisten die Experten zukünftig deutschen und niederländischen Firmen umfangreiche Unterstützung bei der Produktentwicklung und Firmengründung. "Das ist ein Leuchtturmprojekt für die ganze Region", sagt Karin Mittmann begeistert. "Wir öffnen das Labor für die Wirtschaft und werten damit die Region als Standort für biotechnologische und medizintechnische Unternehmen auf." Im Münsterland gibt es bereits rund 30 junge Firmen, die oftmals als "Spin-Offs" aus den Hochschulen gegründet worden sind. Karin Mittmann: "Die Leute sind begeistert, dass sie durch uns Kontakte in die Niederlande bekommen. Die betrachten das als Erweiterung ihres Kundenstammes." Umgekehrt habe man mit dem Serviceangebot für die Wirtschaft eine Marktlücke gefunden, mit der man aufwändige Entwicklungsprojekte und Geräte finanzieren könne.
Das Zentrum für Labormedizinische Technologien ist im Parterre eines unscheinbaren Büro- und Geschäftsgebäudes untergebracht. Funktionale Architektur aus den 70er Jahren. Vor den großen Fensterfronten hängen Jalousien. "Früher war hier mal ein Fitness-Studio", sagt Karin Mittmann, während sie sich einen weißen Kittel über den dunkelblauen Blazer zieht und aus ihrem Büro ins Labor geht. Heute stehen hier modernste Geräte zur Entwicklung innovativer Diagnosetechniken. Beispielsweise der so genannte "Fermenter". Was aussieht wie eine Mischung aus futuristischem Silo und chromblitzender Espresso-Maschine, dient als Nährbehälter für Bakterien. "Darin ziehen wir die Kulturen hoch, aus denen wir die Proteine für unsere Versuche gewinnen." Etwa zur Entwicklung eines Tests für die so genannten zellulären Signalschalter, an dem das Steinfurter Labor gemeinsam mit der niederländischen Universität Twente arbeitet. Mit dem Verfahren lassen sich Informationen über die Funktionsweise von Zellen und die Bedingungen für deren Entartung ermitteln. Für die Pharmaindustrie wäre es ein Meilenstein in der Bekämpfung von Krebserkrankungen. Bisherige Zelltests sind aufwändig und teuer. Auf das labormedizinische Ergebnis einer Probe müssen Arzt und Patient zwei Tage warten. "Unser Ziel ist die Erarbeitung einer Testform, die 96 Proben in zwei Stunden auswertet", sagt Karin Mittmann. Im Rahmen eines Forschungsschwerpunktes des Landes NRW arbeitet das Mittmann-Team zudem geminsam mit Medizinern und Chemikern fieberhaft an einem neuen Verfahren im Bereich der Mitochondriendiagnostik. Bisland ist es etwa bei Transplantationen sehr schwierig, die Spender- von den Empfängerzellen im Patienten zu unterscheiden. Nun benutzen die Forscher die Mitchondriale DNA zur Zellidentifizierung bei Transplantationen. Dieser Test ist wesentlich sensitiver als bisherige Nachweismethoden und kann zudem auch bei transfundierten Zellen angewandt werden, die keine DNA im Zellkern haben, wie z.B. bei Blutplättchen. Mit dem so gennanten "Mitotyping", an dem bereits zahlreiche Firmen im In- und Ausland Interesse signalisiert haben, sollen sich künftig die Zellen identifizieren lassen. "Der Arzt hat damit eine viel bessere Verlaufskontrolle", so Karin Mittmann.
Was die Professorin an ihrer Arbeit besonders schätzt? "Dass ich die Freiheit habe, Strukturen zu gestalten", sagt sie. Das Projekt entwickele eine Eigendynamik, die zur Herstellung besserer medizintechnischer Produkte zum Wohle des Patienten führe. Ständig telefoniert sie mit Unternehmern und potenziellen Kooperationspartnern, um Kontakte zu pflegen oder aufzubauen. "Es macht Spaß, etwas Neues anzuschieben, auch weil das oftmals Leute sind wie ich. Die haben studiert, eine tolle Idee für ein Gerät entwickelt und damit ein Unternehmen gegründet."
Von dem Netzwerk profitieren auch die Studenten. Ingenieure, Naturwissenschaftler und Mediziner absolvieren zur Zeit das Masterprogramm für Biomedizinische Technik, das die Fachhochschule Münster neuerdings als Postgraduierten-Qualifikation anbietet. "Ein kleiner, feiner Studiengang", sagt Karin Mittmann, die neben Forschung und der Organisation des Zentrums gerne in der Lehre tätig ist. "Wir bilden praktische Generalisten aus, die in Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Industrie gehen", sagt die Professorin und fügt nach kurzem Nachdenken hinzu: "Hier gibt es viele hochbegabte junge Leute. Die muss man pushen." Leider seien viele Studenten finanziell darauf angewiesen, nebenher zu arbeiten. "Die haben zu wenig Zeit zum Studieren und kommen dann nicht schnell genug voran." Bafög sei deshalb die einzig richtige Alternative. Wie seinerzeit auch für die Professorin. Die Tochter aus einer Arbeiterfamilie mit vier Kindern finanzierte ihr Studium mit der staatlichen Ausbildungsförderung. Und promovierte mit "summa cum laude."
Welcome Special "medtech" Nr. 3/2001