Die Verwendung von unterschiedlichen Schriften innerhalb einer Textarbeit war bereits in der Antike den Ägyptern, Griechen und Römern bekannt. Sie gebrauchten für ihre in Stein gehauenen Inschriften verschiedene Schriftgattungen und Schriftarten, um einerseits Textpassagen systematisch zu gliedern oder darüber hinaus auch den historischen und sozio-linguistischen Kontext zu verdeutlichen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgte in der Gebrauchsgrafik, in der Kunst- und ganz besonders in der Buchtypographie der literarischen Avantgarde - gemeint ist hier die »visuelle Poesie« der Dadaisten und Futuristen - eine geradezu radikale Neuorientierung des Schriftmischens.
Unter Schriftmischung versteht die Typographie heute die Kombination von zwei oder mehreren Schriftstilen innerhalb einer Schriftfamilie sowie die Kombination von zwei oder mehreren Schriftgattungen oder Schriftarten. Makrotypographisch betrachtet ist Schriftmischung eine Methode, die Typologie eines Textes systematisch zu visualisieren und auch die Ausdrucksmöglichkeiten einer Sprache zu erweitern. Also beispielsweise Textpassagen mit einer anderen Schriftstilvariante zu gliedern, hervorzuheben oder zu marginalisieren. Schriftmischung ist aber auch ein mikrotypographisches Verfahren, die Ästhetik einer Schriftsatzarbeit durch Austausch von einzelnen Buchstaben, Ziffern, Figuren oder Sonderzeichen zu optimieren.
Abgesehen von ästhetischen und künstlerischen Ambitionen ermöglicht es die Technik der Schriftmischung, eine Schriftsatzarbeit systematisch zu gliedern, sie also im Sinne der Didaktik verständlicher zu machen. Ebenso kann durch Schriftmischung die Ausdrucksmöglichkeit einer Sprache in ihrer Schriftlichkeit erweitert werden. Schriftmischung ist also auch eine Methode, rhetorische Prozesse sichtbar zu machen und unterschiedliche Artikulationsebenen einprägsam zu konstruieren. Letzteres ist insbesondere auch in der visuellen Unternehmenskommunikation von enormer Wichtigkeit geworden, da sich unsere Lese- und Betrachtungsgewohnheiten in den letzten Jahren aufgrund der Unzahl multimedialer Kommunikationsbotschaften merklich verändert haben und auch weiterhin verändern werden. Grundsätzlich fördern Schriftmischungen die Lesemotivation und ermöglichen das raschere Querlesen oder schnellere Auffinden einer bestimmten Textpassage. Lesetests im Segment der Lesetypographie weisen regelmäßig nach, dass Rezipienten in kürzester Zeit lernen, Schriftauszeichnungen zuzuordnen und zu ihrem Vorteil zu nutzen. Insbesondere bei Schnell- oder Querlesern und Personen mit hoher Lesekompetenz können Schriftauszeichnungen vor allem die Fixationsprozesse während der Lektüre sinnvoll unterstützen.
Schriftmischung ist also ein wichtiges Parameter, um komplexe Inhalte klar, schnell und erfolgreich zu vermitteln. Als wesentliches Element der Typographie trägt die Schriftmischung natürlich auch dazu bei, den bibliophilen und damit merkantilen Wert eines Druckwerks oder einer Multimedia-Arbeit zu steigern. In der Web- und Screen-Typographie sind allerdings die Möglichkeiten der Schriftmischung aufgrund systemimmanenter Technologiedefizite zur Zeit - im Vergleich zum Print - noch immer sehr beschränkt. Dies wird sich aber durch die Abgleichung von neuen technischen und juristischen Standards in absehbarer Zeit ändern.
Referent
Wolfgang Beinert ist Grafikdesigner, Typograph, Fotograf, Lehrender und Berater. Als Grafikdesigner und Fotograf arbeitet er für eine Klientel, die auf kosmopolitische Grafikdesignkultur, formvollendete Typographie und phantasievolle Bildkonzepte angewiesen ist. So u.a. für den Club of Rome, Chanel, Vogue, das Goethe-Institut, das British Council, Gmund Büttenpapier und Leica Camera.
Durch seine »moderne und dennoch zeitlose Typographie« [Graphis, New York] und seine »außergewöhnlichen Gestaltungslösungen« [DesignNET, Seoul] wurde Wolfgang Beinert bereits vielfach international ausgestellt und ausgezeichnet; so beispielsweise vom Tokyo Type Directors Club, Art Directors Club und Type Directors Club of New York. Das Goethe-Institut Inter Nationes widmete ihm 2001 als ersten Graphic Designer eine Retrospektive. 2002 wurde Wolfgang Beinert vom US-amerikanischen Designmagazin »Graphis« zu den wichtigen europäischen Grafikdesigner gezählt.
Wolfgang Beinert lebt, lehrt und arbeitet heute in Berlin.