Wir lesen überall: in der Bahn, im Urlaub, vor dem Einschlafen, im Gehen und sogar im Stehen. Doch sind es heute weniger die großformatigen Druckerzeugnisse, die wir ausladend und laut raschelnd aufschlagen, um uns zu informieren. Die Medien des 21. Jahrhunderts sind handlicher geworden. So stehen das Nordische und Berliner Format dem Smartphone und Tablet gegenüber, und der E-Reader ist das Bücherregal für unterwegs.

Die digitalen Angebote nehmen immer mehr Einfluss auf die Art, wie wir lesen und das Gelesene verarbeiten. Sie bieten uns die Möglichkeit, schnell Verwertbares zu konsumieren. Stellt sich die Frage: Wie verändert sich unser Leseverhalten im digitalen Zeitalter, und wie entwickelt sich unsere Medienlandschaft in den nächsten Jahren und Jahrzenten weiter? Kurz: Hat Print eine Zukunft oder "verdummen" unsere Nachkommen, weil sie sich nicht mehr die Zeit nehmen, vertiefend auch Gedrucktes in Ruhe zu lesen?

Diese und andere Fragen diskutierten am 17. März 2023 Expertinnen und Experten verschiedener Branchen aus den Bereichen Gestaltung und Wissenschaft auf der FURE am Fachbereich Design der FH Münster. Die Konferenz, die sich mittlerweile in vierter Runde der Zukunft des Lesens verschrieben hat, schaffte dabei wieder viel Raum für Statements, Visionen und Positionen von Designer*innen aus den Bereichen Magazin, Zeitung und Buch sowie dem Designnachwuchs der Hochschule. Prof. Rüdiger Quass von Deyen, Leiter des Kompetenzzentrums Neudenken.Now an der MSD und Patrick Marc Sommer, Gründer von Typoint sowie Mitherausgeber und Redakteur des Magazins Design made in Germany, hießen 250 Gäste am Leonardo-Campus willkommen. Die Berufsfelder der vortragenden Expert*innen waren dabei so vielschichtig wie das Thema der Konferenz an sich.

Die Frage, wie es um die Zukunft des Lesens bestellt ist, erschien deshalb umso spannender. Analog oder digital? Deep Reading oder Shallow Reading? Prof. Dr. Lars Christian Grabbe, Professor für Theorie der Wahrnehmung, Kommunikation und Medien sowie Dekan an der MSD, steuerte auf der Konferenz die wissenschaftliche Perspektive bei. Er zeigte Ansätze auf, die sich wahrnehmungstechnisch mit dem Lesen auseinandersetzen und lieferte dazu fundierte Studienergebnisse, u.a. jene der Stavanger Erklärung, einer Metaanalyse zur Entwicklung des Lesens. Sie gibt Hinweise, dass Leser*innen jüngeren Alters Informationstexte auf Papier und unter Zeitvorgabe besser verstehen als auf dem Bildschirm, wohingegen dieser Unterschied bei narrativen Texten nicht messbar ist. Aus dieser Erkenntnis ergeben sich Empfehlungen vor allem für die Schulen: sie sollten das Lesen dem Lesealter anpassen und die jeweiligen Vorteile von Print- und Digitalmedien ausgewogen und lernbedarfsabhängig einsetzen. Bleibt am Ende die Frage nach den eigenen Lesegewohnheiten. Darüber musste Grabbe nicht lange nachdenken, seine Antwort: "Ich lese 80 Prozent digital vom Tablet, 20 Prozent analog im Medium Buch." 

Mit Schule und Lehr- und Lernmaterialien befasst sich auch Imke Mühlenfeld, die ihr Studium an der MSD mit ihrer Bachelorarbeit zum Thema "Theorie in der Wissensvermittlung" im Jahr 2021 abschloss. Ihr Interesse für die Thematik wurde durch die Arbeit am Institut der didaktischen Physik und durch die Zusammenarbeit mit Rosalie Heinen zu ihrem Herzensthema. Auf die Frage, wie ihr perfektes Schulbuch der Zukunft aussehen könnte, hatte die Absolventin eine sehr treffende Antwort: "Übersichtlich". Wie diese Übersichtlichkeit gestalterisch gelingen kann, zeigte Imke Mühlenfeld während ihres Vortrags anhand aussagekräftiger Layouts.

Die Vorträge der Sprecher*innen ließen schon früh erahnen, dass es aktuell keine eindeutige Antwort auf die Entwicklung der Print- und Digitalmedien geben kann. Denn entgegen dem Trend, dass die Auflagenzahlen der Printmedien seit Jahren kontinuierlich sinken, gelang dem Kultmagazin Max mit seinem Chefredakteur Andreas Wrede ein erfolgreicher Restart. Für das Gedruckte sprach sich auch Birgit Schmitz aus, die mit ihrer Verlagsgründung im 21. Jahrhundert dem Buchdruck im Allgemeinen und der Letterpress im Besonderen huldigt. Eine Lanze für erfolgreiche digitale Angebote brachen dagegen Sandra Hartung und Felix Hunger von der Süddeutschen Zeitung sowie Johannes Erler mit seinem Literaturprojekt 1000 Zeichen auf Instagram. Bei den von ihnen vorgestellten Angeboten wurde schnell klar: Es gibt bereits Online-Formate, die die Möglichkeiten des Digitalen klug ausschöpfen - teilweise sogar eine komplette Verwertungskette bis zum Print anlegen - und damit einen vagen Blick in die Zukunft des Lesens erlauben.

Daraus ist abzulesen: Print und Online werden ihre Potenziale zukünftig noch stärker identifizieren und ausbauen müssen, um ihren Nutzer*innen und mitunter auch dem Bildungsauftrag der Schulen gerecht zu werden. Auch wenn über die Zukunft des Lesens hauptsächlich spekuliert werden konnte, lieferte die Konferenz spannende Einblicke in die Design- und Medienlandschaft und ihre Entwicklungschancen. 

Fotos: Martin Rupik

Kurzinterview mit Veranstalter Rüdiger Quass von Deyen zur Zukunft des Lesens

sp_imageText

Herr Prof. Quass von Deyen, warum widmen Sie sich so intensiv der Zukunft des Lesens?

"Es gibt viele Gründe, warum es für Designer*innen wichtig ist, sich mit der Zukunft des Lesens zu beschäftigen. Es geht zum einen um die technologischen Entwicklungen. Die Art und Weise, wie wir lesen und auf Informationen zugreifen, verändert sich schnell durch neue Technologien. Es ist wichtig, diese Entwicklungen zu verstehen, um sicherzustellen, dass mit Hilfe von Design, Lesen auch in Zukunft eine relevante und praktikable Möglichkeit bleibt, Wissen zu erlangen.

Darüber hinaus geht es um Veränderungen im Leseverhalten. Dieses hat sich in den letzten Jahren stark verändert, insbesondere bei jüngeren Generationen. Die Zunahme von visuellen Inhalten wie Videos und Bildern sowie die Verkürzung der Aufmerksamkeitsspanne erfordern von uns Designer*innen neue Strategien für das Lesen, die Informationsaufnahme und das Vermitteln von Botschaften. Ich bin der Meinung, dass sich Designer*innen über ihre Gestaltungsblase hinaus damit auseinandersetzen sollten. 

Lesen spielt auch in der Bildung und Kultur eine wesentliche Rolle. Wenn wir uns nicht mit der Zukunft des Lesens auseinandersetzen, könnte das negative Auswirkungen auf diese Bereiche haben. Zum Beispiel könnte der Mangel an Lesekompetenz die Fähigkeit beeinträchtigen, komplexe Informationen zu verstehen und zu analysieren, was für die persönliche Entwicklung und gesellschaftliche Teilhabe von großer Bedeutung ist. Auch das hätte Auswirkungen auf unser gestalterisches Wirken. 

Und zu guter Letzt ist Lesen für viele Menschen eine Freizeitaktivität und damit ein wichtiger Teil ihrer persönlichen Entwicklung. Wenn wir uns nicht mit der Zukunft des Lesens auseinandersetzen, könnten wir Möglichkeiten verpassen, das Lesen für zukünftige Generationen zugänglicher und ansprechender zu gestalten. Auch hier sind Gestalter*innen gefordert."

Was meinen Sie, welchen (Lese-)Medien gehört die Zukunft?

"Es ist schwierig vorherzusagen, welchen (Lese-)Medien die Zukunft gehört, da sich die Art und Weise, wie wir lesen und auf Informationen zugreifen, ja doch sehr schnell entwickelt und ändert. Es gibt jedoch einige Trends, die sich in den letzten Jahren abzeichnen und möglicherweise auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen werden. So werden E-Reader und Tablets werden voraussichtlich weiterhin eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von E-Books und anderen digitalen Inhalten spielen. Der Markt für Audiobooks und Podcasts ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Möglicherweise eine Alternative zum Lesen. Soziale Medien haben die Art und Weise, wie wir Informationen konsumieren, verändert. Wir lesen heute immer mehr kurze Texte und visuelle Inhalte in unseren sozialen Medien, was einen Einfluss darauf haben könnte, wie wir zukünftig lesen und auf Informationen zugreifen. Virtual Reality und Augmented Reality bieten neue Möglichkeiten, Geschichten und Inhalte zu präsentieren. Zu alledem kommen die analogen Medien, die wir durch die demographische Struktur der Gesellschaft sicher noch weiter bedienen werden. Letztendlich wird die Zukunft des Lesens wahrscheinlich eine Kombination aus verschiedenen Medien sein, die es den Lesern ermöglicht, auf Informationen auf eine bequeme und benutzerfreundliche Weise zuzugreifen."

Kurzinterview mit Veranstalter Patrick Marc Sommer zur Zukunft des Lesens

sp_imageText

Herr Sommer, warum widmen Sie sich so intensiv der Zukunft des Lesens?

"Als Designer, mit einem starken Schwerpunkt auf Typografie, habe ich mich auf umfangreiche Publikationen spezialisiert, einschließlich Magazine, Bücher, Geschäftsberichte und digitale Veröffentlichungen. Für mich ist es von großer Bedeutung, dass ein angenehmes Leseerlebnis geboten wird und ich finde es äußerst spannend, wie sich die Technologie entwickelt und wie sich die aktuellen Standards verändern. Ich arbeite seit etwa 15 Jahren selbständig in diesem Bereich. 

Je höher die Textmenge ist, umso höher sind die Ansprüche an die Lesbarkeit des Textes. Es ist erstaunlich, wie der erste Eindruck unser Leseverhalten beeinflussen kann, bevor wir überhaupt ein Wort gelesen haben. Kleine Details sind sehr wichtig und für den Gesamteindruck sehr entscheidend.

Als wir die FURE, 'The Future of Reading'-Konferenz, ins Leben gerufen haben, war es uns wichtig, uns von den üblichen Portfolio-Präsentationen abzuheben. Wir wollten uns auf Inhalte konzentrieren und uns sowohl mit analogen als auch mit digitalen Leseerlebnissen auseinandersetzen. Ich finde den Austausch mit anderen Gestalter*innen aus unterschiedlichen Perspektiven und ihren Erfahrungen unglaublich spannend und bereichernd. Es gibt nichts Besseres, als von anderen zu lernen und sich weiterzuentwickeln."

Was meinen Sie: welchen (Lese-)Medien gehört die Zukunft?

"Lesen ist ein fester Bestandteil unseres Alltags, egal ob wir Nachrichten online lesen, ein Buch genießen, Social-Media-Posts durchscrollen oder auf die Anzeigentafel am Bahnhof schauen. Aber nicht alle Texte sind gleich gestaltet und wirksam. Aus diesem Grund sind typografische Grundlagen für Designer*innen unerlässlich. Natalie Gaspar und ich haben während der Pandemie das Buch »Das ABC der Typografie« veröffentlicht. Durch einen lockeren, leicht verständlichen Aufbau und Anwendungen in Adobe InDesign zeigt es, wie man Typografie schlau einsetzt, um Inhalte zu unterstützen und Leser*innen zu begeistern. Es ist unglaublich erfüllend zu sehen, wie gut gestaltete Typografie die Stimmung eines Textes beeinflussen und ihn zu einem wahren Lesevergnügen machen kann. Weil Typografie Spaß macht.

Die Zukunft gehört definitiv einer Mischung aus unterschiedlichen Medien. Während digitale Medien ihre Vorteile haben, sollte man bedenken, dass »Digitales« nicht immer die umweltfreundlichere Option ist. Die Informations- und Kommunikationstechnologie verursacht genauso viel CO2-Emissionen wie die Luftfahrtindustrie. Als Kreative*r sollten wir darauf achten, den Datenverbrauch zu reduzieren, beispielsweise bei der Gestaltung von Websites. Außerdem sollten wir uns bemühen, nur so viel Speicherplatz wie nötig zu verwenden.

Obwohl E-Books bequem sein können, kann das Lesen eines gedruckten Buches viel emotionaler sein. Die Haptik des Papiers, das Gefühl, den Duft des Papiers zu erleben und die Gebrauchsspuren zu sehen, machen ein Buch lebendig und authentisch. Es ist ein wahrer Genuss, ein physisches Buch zu besitzen, zu erleben und auch als Objekt verschenken zu können."

Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können, verwenden wir Cookies. Weitere Informationen und die Möglichkeit zum Widerruf finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Seite drucken