Die Anfänge der beruflichen Lehrerbildung am IBL: "In der Pionierzeit war alles fließend, alles offen."
Wenn Sie zu den Anfängen zurückblicken: Über 20 Jahre Kooperation zwischen Berufskolleg und IBL - Das sind unzählige Lehrveranstaltungen, Projekte, Exkursionen in Ihrer beruflichen Fachrichtung Gestaltungstechnik, Mediendesign und Designtechnik. - Welche Stationen, Ereignisse, Begegnungen sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Dass es einen neuen kooperativen Studiengang Lehramt an Berufskollegs in gemeinsamer Verantwortung von FH und WWU als Modellversuch geben würde, hatte ich 2001 in der Münsterschen Zeitung gelesen. Ich habe dann spontan mit der Motivation beim Rektorat der FH im Hüfferstift vorgesprochen, eine Kooperation für unsere Schule zu initiieren, das heißt, junge Referendarinnen und Referendare für die Schule zu gewinnen. Dass mir von der FH sofort ein Lehrauftrag für Gestaltungstechnik angeboten werden würde, damit hatte ich nicht gerechnet. So bin ich zwei Wochen vor Semesterbeginn als dynamischer Junglehrer mit Aktenköfferchen und meiner Materialsammlung zu meinem ersten Seminar aufgebrochen, um 15 Studierenden die Schulpraxis am Berufskolleg näherzubringen. Mit Herrn Prof. Volker Erhard - damals Dekan für den Fachbereich Design - habe ich dann in einer altdeutschen Kneipe bei Kaffee und Bier die Grundlehre Gestaltung im Studiengang direkt in sein schwarzes Notizbuch mit den roten Ecken geplant, realpraktisch von den Anforderungen an der Schule aus und unter dem Blickwinkel: Wie funktioniert eigentlich berufsbildende Schule?
Die motivierten Studierenden der allerersten Generation, die überwiegend eine Berufsausbildung abgeschlossen hatten, habe ich dann zunächst vier Stunden Didaktik der ästhetischen Bildung gelehrt. Dabei standen neben Materialkunde die verschiedenen Berufsfelder im Fokus, die die Studierenden ja selbst mitbrachten und einander vorstellen konnten: Vom Kürschner bis zum Sattler, Glockengießer, Licht- und Schildermacher war alles dabei.
Mit Prof. Thilo Harth, der dann für die Technikdidaktik berufen wurde, habe ich das fachdidaktische Tagespraktikum mit Besuchen der Studierenden bei mir im Unterricht geplant und zwei Seminare zur ästhetischen Bildung konzipiert und immer wieder - auch entlang der diversen Lehrerbildungsreformen - modifiziert. Wir waren in den Anfängen viel "auf Achse": In unzähligen, selbst finanzierten Exkursionen haben wir uns berufsbildende Schulen angesehen. Einmal haben wir bspw. im Belgischen Viertel in Köln Lichtreklame aus den 1950er-Jahren studiert: In der Pionierzeit war alles fließend, alles offen.
Neue Wege, neue Möglichkeiten: "Jugendliche bringen heute das Konsumieren bewegter Bilder und virtueller Welten mit."
Welche Empfehlungen würden Sie dem IBL und der beruflichen Lehrerbildung aus der Sicht eines Abteilungsleiters und Lehrenden an einem Berufskolleg mit auf den Weg geben?
Wir brauchen Studierende, die mit Crossmedia, mit Virtual Reality (VR), Künstlicher Intelligenz (KI) und Social Media umgehen und diese Technologien kreativ nutzen und innovativ weiterentwickeln können. Mit einem vermutlich bald implementierten neuen Ausbildungsberuf "Gestalter*in für immersive Medien" geht die Zeit des klassischen zweidimensional denkenden Mediengestalters vom Print zu Screen on Screen zu Ende: Jugendliche bringen heute das Konsumieren bewegter Bilder und virtueller Welten mit.
Wir brauchen Lehrerinnen und Lehrer, die konstruktiv, systemisch und didaktisch neue digitale Welten, wie beispielsweise VR, vermitteln können, damit diese Technik nicht nur ein "nice to have" bleibt. Für die Umsetzung dreidimensionaler Aufgaben im Bereich Mediendesign und Designtechnik, z. B. im Produktdesign, sind darüber hinaus vertiefte mathematische Fähigkeiten gefordert. Darauf müssen wir vorbereitet sein.
Im Bereich Filmtechnik findet gerade ein fundamentaler Medienumbruch statt: sog. CGI-Systeme (Computer Generated-Imagery) sind in der Lage, 360-Grad Bilder aus sämtlichen Perspektiven aufzunehmen. Damit ändern sich die Betrachterperspektive des Filmenden und seine Rolle elementar. CGI-Technik wird, ebenso wie KI, neue Märkte hervorbringen und unsere Aufgaben in der beruflichen Lehrer- und Schülerbildung völlig auf den Kopf stellen. Schülerinnen, Schüler und Studierende sind heute ausschließlich mit perfekt aufbereiteten, gefilterten Medien konfrontiert, ob im Kino, in der Werbung, in Social Media und beim Gaming: Sie sind an Perfektion gewöhnt. Die elementare Fähigkeit eines Lehrenden, Schülerinnen und Schüler aus dem Unperfekten ins Perfekte zu führen, wird eine zunehmende Mammutaufgabe.
"Der Plan ist, keinen Plan zu haben, und zu gucken: Was machen andere."
Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Ab einem bestimmten Punkt wird man bei allen Bildungsprozessen betriebsblind: Deshalb ist es gut, sich zu erden, den Blick von außen auf die Schule zu gewinnen und dem Nachwuchs Platz zu machen. Pünktlich zu den Sommerferien werde ich nach vielen voll beschäftigten und intensiven Jahren als Lehrer am Berufskolleg, Abteilungsleiter und Prüfungsvorsitzender daher mein erstes Sabbatjahr antreten. Dies werde ich nutzen, um ganz Südostasien zu bereisen. Am 18. Juli fliege ich mit meiner Begleiterin nach Jakarta. Zuerst geht es runter nach Bali, dann weitere nach Sumatra, Malaysia, durch Thailand, Vietnam, Laos, wieder zurück, dann entweder durch China oder Myanmar. Wie es dann weitergeht, lassen wir offen.
Was versprechen Sie sich von der Reise?
Der Plan ist, keinen Plan zu haben: loslassen, den Kopf freikriegen, neue Eindrücke mitnehmen, raus aus dem Kokon, auch zu sehen und zu hinterfragen, wie andere politische Systeme funktionieren, zu gucken: Was machen andere. Wichtig ist mir, den Einblick in andere Gesellschaftssysteme zu bekommen, dies offen und dennoch kritisch. Natürlich sind damit auch die Schul- und Bildungssysteme inbegriffen.
Wie möchten Sie Ihre Erfahrungen aus der Reise mit in Ihren Beruf nehmen?
Ich möchte mit neuer Arbeitskraft und Energie wiederkommen und mit ganz viel neuem Elan wieder einsteigen in meinen Beruf. Und ja: Vielleicht habe ich eines Tages als Elder Statesman die Möglichkeit, mit freiem Kopf und frischen Ideen, weniger Verantwortung in der Schule und mehr Gelassenheit Studierende für die berufliche Fachrichtung Mediendesign und Designtechnik wieder mit auszubilden!
Danke für das Gespräch, Herr Gericke, und gute Reise! Wir hoffen, wir hören von Ihnen!