Prof. Dr. Carmen-Maria Albrecht ist Expertin für Konsumentenverhalten und Handelsforschung, Schwerpunkt Fashion Retail. Seit 2018 hat sie an der FH Münster eine Stiftungsprofessur inne, gefördert von dem Textilfilialisten Ernsting's family aus Coesfeld. Diese Professur macht deutlich, wo der Fokus der Wissenschaftlerin liegt: Es geht ihr um konkrete Handlungsempfehlungen für den Umgang einer Marke mit ihren Konsumenten, die wissenschaftlich gestützt und im Grunde für viele Branchen relevant sind.
Dieser Ansatz hat das Interesse von Rolf Wandres geweckt. Der Gründer und Inhaber der Werbeagentur Team Wandres überblickt mehr als drei Jahrzehnte Aufbau und Entwicklung mittelständischer Marken in der Region. Zielgruppen und Konsumentenverhalten zu verstehen, das hat auch für ihn oberste Priorität. Lesen Sie, wie die beiden Markenexperten aus unterschiedlichen Erfahrungen kommend, auf Marke und Markenbildung blicken.
Rolf Wandres: Frau Professor Albrecht, Stationen Ihrer universitären und wissenschaftlichen Laufbahn waren unter anderem Mannheim, München, New York und jetzt Münster. Wie ist es dazu gekommen?
Prof. Dr. Carmen-Maria Albrecht: In Mannheim habe ich ganz klassisch Betriebswirtschaftslehre studiert und daneben am Lehrstuhl für Marketing als Hilfskraft gearbeitet. Schwerpunkt: Konsumentenverhalten. Dieser Einblick in die wissenschaftliche Arbeit hat mich fasziniert. Also entschloss ich mich zu einer Bewerbung auf eine Promotionsstelle. In Mannheim habe ich dann am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Marketing zum Thema "Einkaufsstress von Konsumenten" promoviert. Danach hatte ich die Chance, für Forschungsprojekte nach New York zu gehen und anschließend bei einer internationalen Unternehmensberatung in München zu arbeiten.
Wo liegt der Unterschied zwischen New Yorker und Münsteraner Konsumenten?
Am einzelnen Kundenverhalten kann ich das gar nicht so sehr festmachen; der Kontext ist einfach ein sehr unterschiedlicher. Aber eine Beobachtung habe ich gemacht: New York ist eine Stadt, geprägt von Trends. Das heißt: Konsumenten jagen mehr Trends hinterher. Das gilt insbesondere für die Branche Fashion. Die New Yorker sind immer top gekleidet. Sie sind auch Trendsetter, Vorreiter, und das schwappt dann sozusagen in die Welt hinaus.
Zurück zum Einkaufsstress. Das klingt nach einem spannenden und vielschichtigen Thema ...
... finde ich auch - als Konsumentin und Wissenschaftlerin. "Kann man Stress beim Einkaufen überhaupt messbar machen?", "Was genau löst diesen Stress aus?" und vor allem: "Zu was führt das?". Ich habe mich häufig selbst beobachtet: "Warum gehe ich in ein Geschäft mit einem Kaufinteresse und dann wieder raus?". Oder: "Warum habe ich den Warenkorb voll gemacht, und ihn dann stehen lassen?". Der klassische Kaufabbruch. Was sind die Auslöser von Stress und die Auswirkung auf den Handel? Das habe ich wissenschaftlich analysiert.
Sie haben den Warenkorb stehen lassen - am Point of Sale - und sind dann wieder gegangen?
Ja, das ist kein untypisches Verhalten. Es gibt Situationen, da habe ich mich geärgert und gefragt: "Warum geht es nicht voran!" Oder ich gehe in ein Geschäft, und möchte etwas ganz Bestimmtes kaufen. Deshalb bin ich gekommen. Aber dann merke ich: Das, was ich eigentlich brauche, ist nicht da! Also kann ich auch gehen, oder? Und das tue ich, selbst wenn ich vielleicht ein, zwei andere Produkte im Einkaufswagen habe. Als Wissenschaftlerin hat mich das fasziniert, und ich habe dann im Rahmen meiner Dissertation Einflussfaktoren und Konsequenzen von Einkaufsstress analysiert.
Was haben Marken damit zu tun?
Marken haben unter anderem eine Informationsfunktion. Sie sollen beispielsweise den Einkauf ein wenig erleichtern. Wenn ein Geschäft eine bestimmte Marke, nach der ich suche, gerade nicht hat, und man andere Marken im Regal sieht, entscheidet man sich in diesem Moment womöglich für eine andere Marke, weil man eine Assoziation zu dieser Marke hat. Und diese hat dann Einfluss auf die Kaufentscheidung. Bei meiner Forschung zu "Einkaufsstress" standen Marken nicht direkt im Vordergrund, aber das Beispiel zeigt, dass es einen Zusammenhang geben kann.
Mir fällt dazu das Stichwort "Markenloyalität" ein. Eine Beziehungsqualität, in die ein Unternehmen unter Umständen viel investiert, die jedoch, wie Ihr Beispiel zeigt, zumindest im Endverbraucherbereich sehr labil sein kann.
Deshalb versuchen wir, Forschung auf der Konsumentenseite pragmatisch den Unternehmen zuzuführen.
Ihre Analysen zum Konsumenten- und Kundenverständnis bleiben also nicht auf den Bereich Fashion bezogen?
Richtig. Grundsätzlich sind unsere Ergebnisse auch für andere Bereiche interessant, zum Beispiel Lebensmittel, Banken oder Automotive. Als Wissenschaftlerin beschäftige ich mich zum Beispiel mit der Frage:"Wie werden aus zufriedenen Kunden loyale Kunden, Botschafter einer Marke oder eines Produktes, Fans einer Marke?". Und aus Unternehmenssicht: "Wie manage ich Kundenerlebnisse?". Zu diesem Thema hatte ich die Chance, nach New York zu gehen und an der Columbia University Forschungsprojekte zu leiten. Parallel habe ich in Mannheim über "Experience Marketing" habilitiert.
Das treibt mich zu der Frage: Was ist eine Marke? Und stecken Marketing oder Agenturen wie wir überhaupt noch die Claims ab oder sind es die Konsumenten?
Früher waren insbesondere Merkmale wie "konstante Qualität" oder "ubiquitäre Erhältlichkeit" für die Charakterisierung von Marken entscheidend. Heutzutage verstehen wir unter einer Marke ein Vorstellungsbild, welches unterschiedliche Anspruchsgruppen mit ihr verbinden. Diese Vorstellungsbilder übernehmen eine Identifikations- oder Differenzierungsfunktion. Was ich als Konsument zum Beispiel mit der Marke Christinen Wasser verbinde, ist dann für mich Christinen Wasser (Anmerkung: steht auf dem Tisch während des Interviews). Eine Unternehmensmarke kann diesen Bildungsprozess aufbauen, wenn man fragt: "Was ist denn die Identität meiner Marke?" Und in einem weiteren Schritt abgleicht: "Was möchte ich sein und was kam oder kommt beim Konsumenten an?" Es kann sein, dass Markenidentität und Image übereinstimmen. Es kann aber auch sein, dass das Image ein anderes ist. Dann sollte man sich überlegen:"Okay, warum ist das so, warum ist das Image ein anderes?"
Also würden Sie schon sagen, dass sich Marken durch die Markeninhaber noch steuern lassen?
Ja, schon, weil Markenführung immer noch ein kernstrukturierender Prozess ist. Also man muss sich als Unternehmen oder Marke überlegen: "Wer bin ich?", "Wer möchte ich sein?", "Für was möchte ich stehen und welchen Nutzen möchte ich transportieren?". Das steht vielleicht am Anfang eines Brand Building Prozesses. Natürlich steht eine Marke in Kommunikation mit dem Kunden, über Social Media-Kanäle mehr denn je. Ich kann also Social Media nutzen, um Informationen über das Image meiner Marke heranzutragen. Ich sollte mir aber bewusst sein: Ich habe wenig Kontrolle über das, was gesprochen wird. Den eigentlichen Kommunikationsverlauf kann ich nicht wirklich steuern, aber ich kann mir Gedanken machen, welche Geschichten über meine Marke ankommen und welche ich erzählen kann, Geschichten, die emotional sind. Emotionen sind auch Informationen, sie bleiben länger haften und man erinnert sich schneller daran. Social Media wäre unter diesem Aspekt eher die Chance, dieses Storytelling über die Marke zu betreiben und zu fördern.
Eine Marke gibt nicht nur Konsumenten Orientierung, sondern auch Arbeitnehmern. Wie bekomme ich gute Mitarbeiter, wenn ich zum Beispiel ein großes Softwarehaus bin - mit Sitz im Westmünsterland? Wie schaffe ich es, hochqualifizierte Mitarbeiter in ländliches Grenzgebiet zu bekommen? Die Arbeitgebermarke ist ein Aspekt von Marke, der zunehmend wichtig wird. Ist das auch ein Thema für Sie?
Hier kann ich den Bogen zu Ernsting's family schlagen: Auch dieses Unternehmen steht vor diesen Herausforderungen. Ernsting's family ist ein Top-Fashion-Retailer und der Standort ist in Coesfeld. Viele wissen gar nicht, dass diese in Deutschland und Österreich aufgestellte Marke hier im Münsterland ihren Hauptsitz hat und sich außerordentlich für ihre Mitarbeiter engagiert. In vielen Fällen ist die Produktmarke auch die Arbeitgebermarke, und zwischen beiden sollte es nicht zu Konflikten kommen. Das heißt, die Werte, für die das Produkt steht, das sind auch die Werte, für die das Unternehmen steht. Da muss es eine Passung geben.
Stimmt genau. Ich muss auch die Mitarbeiter zu Fans meiner Marke machen. Wenn sie nicht hinter den Produkten, dem Unternehmen stehen, werden sie auch nicht nach außen kommunizieren.
Gemeinsam hinter der Marke zu stehen, das trägt außerdem zu deren Authentizität bei.
Eine Bitte am Ende des Interviews: Würden Sie den Lesern, das sind mittelständische Unternehmer, eine Vorstellung davon geben, wie ein idealer Markenbildungsprozess aussieht?
Wie bereits angesprochen: Am Anfang geht es um Markenidentität, darum, das Selbstbild der Marke festzulegen. "Für was stehe ich als Marke?", "Wie möchte ich rüberkommen?", "Wer ist die Zielgruppe?", "Was ist der Nutzen?". Dann geht es darum, mich als Marke zu positionieren, die Stellung im Markt zu finden. In diesem Prozess ist es sehr wichtig, auch immer wieder das Feedback von außen einzuholen und zu überprüfen: "Wie ist das Image?", "Ist das Bild stimmig?". Die Kommunikation setzt ihre Mittel ein, um diesen Prozess zu begleiten, im Sinne der vorab definierten Eigenschaften der Marke. Und dann gilt es im Sinne des Marketing-Controllings zu schauen - und das ist ganz wichtig: "Welchen Effekt gibt es am Ende?", "Habe ich den Effekt der Zufriedenheit, der Loyalität erzielt?". Dieser Markenbildungsprozess ist kein Mysterium. Er ist ein Aufbauprozess, den man ganz strukturiert durchgehen kann und den wir gerne begleiten. Ich bin davon überzeugt, dass es mit Blick auf einen messbaren Erfolg wichtig ist, Markenführung systematisch anzugehen.