Eine haarige Angelegenheit
Wissenschaftler der FH Münster untersuchen für einen Friseur verschiedene Schneidetechniken
Prof. Dr. Jürgen Peterseim und Ingenieurin Cordula Fuest sehen sich die stark vergrößerten Aufnahmen eines Haars am Computer an. (Foto: FH Münster/Pressestelle)
Um die Haare unterm Rasterelektronenmikroskop untersuchen zu können, mussten sie vorher vergoldet werden. (Foto: FH Münster/Pressestelle)
Projektmitarbeiterin Cordula Fuest legt eine Probe mit Haaren in das Rasterelektronenmikroskop. (Foto: FH Münster/Pressestelle)
Münster/Steinfurt (17. August 2018). Haare und Maschinenbau – das hat auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun. Bei genauerem Hinsehen aber jede Menge. „Wir arbeiten mit Werkstoffen, und dazu zählen auch natürliche Materialien wie Haare, Mineralien oder auch Pflanzenfasern mit zum Beispiel hoher Festigkeit. Wir untersuchen etwa die biologische Oberflächenstruktur und stellen diese dar“, sagt Prof. Dr. Jürgen Peterseim vom Fachbereich Maschinenbau der FH Münster. Möglich macht das ein Rasterelektronenmikroskop. „Normale Lichtmikroskope reichen dafür nicht aus. Nur das Rasterelektronenmikroskop ist detailliert genug.“ Das wusste auch die Handwerkskammer – und stellte den Kontakt zu Frank Brormann her. Der Friseur suchte das, was Peterseim und sein Team liefern konnten: detaillierte Rasteraufnahmen vom menschlichen Haar.
„Ich bin Erfinder des Calligraphy Cut“, sagt Brormann. Dank einem speziell entwickelten messerähnlichen Werkzeug schneidet er Haare so, dass sie fülliger sind. „Ich wollte eine wissenschaftliche Bestätigung, dass meine Technik tatsächlich besser ist als andere.“ Deshalb brachte er verschiedene Haartypen zu Peterseim: unbehandeltes, coloriertes, gefärbtes und gepflegtes sowie graues und feines Haar. Geschnitten waren diese Haare mit unterschiedlichen Verfahren: normale Schere, Messer, heiße Schere und Calligraphy Cut. Peterseims Mitarbeiterin Cordula Fuest präparierte einzelne Haare für das Rasterelektronenmikroskop. Dazu kürzte sie jedes Haar an einer Seite auf etwa einen Zentimeter und klebte mehrere eines Typs auf kleine Plastikplättchen. „Das war wirklich eine Sisyphusarbeit, denn selbst das dickste Haar ist im Durchmesser nur ein Zehntel Millimeter groß“, sagt Fuest.
Die Plättchen bedampfte sie anschließend hauchdünn mit Gold. „Das ist für das Rasterelektronenmikroskop wichtig“, erklärt Peterseim. „Denn dabei fährt ein elektrischer Strahl über die Probe und rastert sie. Das bedeutet, dass viele Aufnahmen hintereinander entstehen, aus denen sich ein großes Bild zusammensetzt, also ganz anders als bei einer Kamera.“ Die Elektronen schießen auf die Probe und schlagen dort weitere Elektronen aus der Probe heraus, welche dann die bildhafte Darstellung der Oberfläche ermöglichen – und das geht nur, wenn die Präparate elektrisch leitend sind. „Gold und Silber sind wunderbare Leiter, und vor allem Gold ist üblich, weil sehr gut in der Darstellung“, so Peterseim.
Danach fing Fuest mit der eigentlichen Arbeit an: Sie schob jedes Plättchen Stück für Stück durch das Rasterelektronenmikroskop, erfasste nicht nur den Durchmesser der Haare, sondern auch den Schnittwinkel und die -fläche. Entstanden sind hochauflösende Bilder menschlichen Haars, insgesamt rund 1.000 Stück. Damit war die Arbeit der Wissenschaftler abgeschlossen. „Mit der Interpretation des Ergebnisses möchte ich mich zurückhalten, aber so viel kann ich sagen: Der Calligraphy Cut funktioniert besser als das Schneiden mit einer Schere“, sagt Peterseim, der die Ergebnisse prompt an Brormann übermittelte.
„Die Bilder sind beeindruckend“, so der Friseur. „Die Schnittflächen sind detailliert dargestellt und Unterschiede sichtbar. Beim Calligraphy Cut ist das Haar sauber abgetrennt, bei der Schere und dem Messer fransen die Spitzen viel mehr aus.“ Das gelte für alle getesteten Haartypen. Und auch bei den restlichen Schneidetechniken seien die Schnittflächen vergleichsweise unsauber und nicht sehr glatt.
Das Land NRW hat Peterseims Projekt mit einem Innovationsgutschein gefördert. Dabei kaufen kleine und mittelständische Unternehmen Forschungsleistungen ein und bekommen einen Teil des Geldes erstattet. Außerdem gewannen Peterseim und Brormann im Juli mit ihrem Projekt den Seifriz-Preis, den bundesweiten Transferpreis des deutschen Handwerks.