Alkohol in der Schwangerschaft: Kinder tragen die Konsequenzen ihr Leben lang

Am 9. September ist der internationale Tag des alkoholgeschädigten Kindes. Dr. Reinhold Feldmann, Experte für Fetale Alkoholspektrumstörung, und Ellen Bogorinsky berichten über den Einfluss von Alkoholkonsum werdender Mütter auf Ungeborene und die Veranstaltungen unserer Hochschule zu diesem Thema.

Herr Dr. Feldmann, was versteht man unter dem Begriff „alkoholgeschädigtes Kind“?

Dr. Reinhold Feldmann: Alkoholgeschädigte Kinder oder auch Erwachsene sind Menschen, deren Mütter in der Schwangerschaft Alkohol konsumiert haben und deren Konsum irreversible physische und psychische Defekte bei den Ungeborenen verursacht hat. Fachleute bezeichnen dieses Krankheitsbild als FASD, kurz für Fetale Alkoholspektrumstörung. Die Ausprägungen und Symptome dieser Erkrankung sind äußerst vielfältig und reichen von kognitiven Beeinträchtigungen über soziale Herausforderungen bis hin zu körperlichen Auffälligkeiten. An Letzteren erkennt geschultes Personal oft schon kurz nach der Geburt, dass die Säuglinge durch das Zellgift Alkohol Schäden erlitten haben.

Was sind das für Schäden?

Im kognitiven Bereich zeigt sich oft ein unterdurchschnittlicher IQ. Im sozialen Bereich treten häufig Schwierigkeiten bei der Interaktion mit Gleichaltrigen auf. Es fällt schwer, Freundschaften aufzubauen, und auch die Emotionsregulation ist beeinträchtigt. Oft wird die Krankheit daher mit ADHS oder Autismus verwechselt. Körperliche Merkmale umfassen eine geringere Größe und ein niedrigeres Gewicht im Vergleich zum Durchschnitt. Zudem haben Betroffene oft schmale Lippen und kleine Augen. Wie folgenschwer die Auswirkungen des mütterlichen Konsums tatsächlich sind, zeigt sich jedoch erst im Laufe der ersten Lebensjahre der Kinder, oft zu Beginn der Schulzeit. Um das Bewusstsein für diese Problematik zu schärfen, wird seit 1999 jedes Jahr im September – dem neunten Monat des Jahres, als Anlehnung an die neunmonatige Schwangerschaft – auf das Schicksal der Betroffenen, die oft ein Leben lang mit dem Unverständnis der Gesellschaft zu kämpfen haben, aufmerksam gemacht.

Wie sind Sie auf das Thema aufmerksam geworden?

Ich selbst bin eher zufällig auf dieses Thema gestoßen, als mir vor gut 25 Jahren ein Kollege, der in den Ruhestand ging, seine Patientinnen und Patienten übergab. Damals gab es noch keine Versorgungsstrukturen für Betroffene und ich dachte mir: Jemand muss sich um diese Kinder kümmern. Auch wenn heutzutage weltweit und auf hohem Niveau Forschung zu den Auswirkungen von Alkohol auf die Gesundheit betrieben wird, fehlen in Deutschland weiterhin gute und langfristige Versorgungsstrukturen für Betroffene, die Großteils auch im Erwachsenenalter auf Unterstützung angewiesen sind. Außerdem mangelt es an ausreichender Präventionsarbeit. Noch immer kommen tausende von Kindern mit Alkoholschäden zur Welt. Zwar hat eine Studie gezeigt, dass die Zahl trotz gestiegenen Alkohol- und Drogenkonsums in den vergangenen Jahren leicht zurückgegangen ist, aber eben nur gering und das, obwohl die Schädigungen zu 100 Prozent vermeidbar sind!

Gibt es konkrete Zahlen?

Zehn von 1.000 Neugeborenen kommen pro Jahr mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen zur Welt, die auf Alkoholkonsum während der Schwangerschaft zurückzuführen sind. Drei von 1.000 Neugeborenen sogar mit schweren Schädigungen.

Was muss geschehen, damit die Zahl der Erkrankungen weiter sinkt?

Es bedarf der Prävention, doch diese gestaltet sich schwierig. Wir haben es zwar in Zusammenarbeit mit dem deutschen Spirituosen-Industrie-und-Importeure e.V. geschafft, Infoflyer zu gestalten und über gynäkologische Praxen an Schwangere zu reichen, doch fehlen uns die finanziellen Mittel für weitere langfristige und nachhaltige Kampagnen. Wir wünschen uns hier auch Unterstützung aus der Politik. Die Gefahren von FASD werden immer noch oft unterschätzt. Jeder Tropfen Alkohol ist schädlich und im schlimmsten Fall sind es die Kinder, die lebenslang die Konsequenzen für diesen einen Genussmoment tragen.

Wo können Betroffene, die bereits an FASD erkrankt sind oder die Vermutung haben, erkrankt zu sein, Hilfe bekommen?

Zunächst: Es gibt keine Heilung. Ist das Gehirn durch Alkohol oder Drogen beschädigt, erholt es sich davon nicht. Aber wir können gemeinsam mit den Betroffenen versuchen, einen Umgang zu finden und sie bestmöglich zu unterstützen. Eine erste Anlaufstelle ist zum Beispiel die FASD-Ambulanz in Walstedde. Zwar sind wir bislang das einzige Institut, das sich auf FASD spezialisiert hat, aber es gibt deutschlandweit immer mehr Einzelpersonen aus dem medizinischen oder therapeutischen Bereich, die sich der Herausforderung dieser Krankheit annehmen. Mit der Weiterbildung zur FASD-Fachkraft setzen wir hier an und klären Lehr- und Fachkräfte über Symptome und geeignete Umgangsformen auf.

Der von Ihnen angesprochene Hochschulzertifikatskurs FASD-Fachkraft startet im Oktober bereits in den elften Durchlauf an der FH Münster. Frau Bogorinsky, das spricht von weiterhin großer Nachfrage und Erfolg. Was sind die Beweggründe der Kursteilnehmer*innen?

Ellen Bogorinsky: Ein Großteil der Kursteilnehmer*innen kommt zu uns, weil sie im beruflichen Alltag betroffenen oder vermeintlich betroffenen Personen begegnen. Die Fachkräfte möchten mehr über die Krankheit wissen, besonders aber darüber wie ein gelingender Umgang mit betroffenen Kindern und Jugendlichen aussehen kann. Was wir in den letzten Jahren beobachten können, ist, dass sich der Kenntnisstand zum Krankheitsbild verändert hat. Viele bringen heute schon Vorkenntnisse zum Krankheitsbild mit.  Nach wie vor ist das Interesse an der Thematik jedoch weiterhin groß. Fachkräfte aus ganz Deutschland kommen zu uns. Bisher konnten wir bereits gut 200 Teilnehmer*innen zu FASD-Fachkräften weiterbilden.

Aus welchen Bereichen kommen die Kursteilnehmer*innen, die Sie zu FASD-Fachkräften weiterbilden?

Der Kurs richtet sich an Fachkräfte aus gesundheits- und sozialberuflichen Arbeitsfeldern mit einschlägiger Berufserfahrung. Aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsfelder und auch Arbeitserfahrungen bilden die Teilnehmer*innen bilden häufig eine sehr heterogene Gruppe, was dem Kurs einen besonderen Mehrwert verleiht. Den Austausch, bei dem unterschiedliche Erfahrungen und Expertisen zusammenkommen und dementsprechend auch ganz neue Perspektiven und Fragen aufkommen, schätzen wir besonders.

Wie werden später Weiterbildungsinhalte von den Teilnehmer*innen angewandt?

Viele Teilnehmer*innen geben die Kompetenzen und das Wissen aus den fünf verschiedenen Modulen weiter. Im Rahmen des Abschlussverfahrens des Hochschulzertifikatskurses können die Teilnehmer*innen Kurzkonzepte entwickelt. Viele der Teilnehmer*innen nutzten dies als Gelegenheit, um Schulungskonzepte zu dem Thema zu erarbeiten. Nach dem Kurs tragen sie das gelernte Wissen in ihre Organisation und werden so selbst zu Wissensvermittler*innen. Das freut und natürlich sehr: Dieser Transfer ist für uns ein besonderes Anliegen, damit das Gelernte nach dem Hochschulzertifikatskurs nicht verloren geht, sondern in der Praxis auch angewandt werden kann. So profitieren auch in Zukunft möglichst viele davon – sowohl diejenigen, die mit FASD leben, als auch diejenigen, die mit Betroffenen arbeiten.

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