Münster, 2. Oktober 2019 | Resistente Keime gefährden unsere Gesundheit. Die Weltgesundheitsorganisation zählt sie zu den zehn größten Risiken für die globale Gesundheit. Gleichzeitig ziehen sich immer mehr Pharmakonzerne aus Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika zurück, wie Recherchen des NDR ergaben. Dabei sind Antibiotika immer noch das wichtigste Mittel gegen bakterielle Infektionskrankheiten.
Warum diese Entwicklung ganz besonders Senioren trifft, erklärt der Mikrobiologe PD Dr. Heribert Keweloh von der FH Münster im Interview.
Herr Dr. Keweloh, wieso verzichten einige Pharmaunternehmen darauf, neue Antibiotika zu entwickeln und zu vermarkten?
Das hat zum einen sicherlich wirtschaftliche Gründe, denn die Entwicklung eines neuen Antibiotikums von ersten Laborversuchen bis zur therapeutischen Anwendung kostet Hunderte von Millionen Euro. Neue Antibiotika werden aber als sogenannte Reserve-Antibiotika nur in seltenen, besonderen Fällen gegen schon resistente Erreger eingesetzt. Sie sind ja eine besonders wertvolle Waffe bei Patienten, die mit herkömmlichen Antibiotika nicht erfolgreich therapiert werden können.
Zum anderen entwickeln die Erreger auch gegen neuartige Mittel sehr schnell Resistenzen. Es gibt keine Antibiotika, bei denen diese Entwicklung nicht innerhalb kurzer Zeit eingetreten ist. Bakterien sind äußerst flexible Lebewesen, die auf alle Hemmstoffe reagieren, beispielsweise indem sie die Angriffsstrukturen verändern. Sie verschaffen sich ein neues Gewand, wenn man so will.
Gerade Noroviren und Influenzaviren beispielsweise verändern sich ständig. Die Oberfläche der Virenpartikel verändert sich, das meine ich mit "Gewand". Die im Körper gebildeten Antikörper können sie nicht mehr erkennen. Es müssten dann neue Immunzellen geprägt werden, die die passenden Antikörper produzieren.
Da ist sicherlich die Politik gefragt, Auswege aus dem Dilemma zu suchen. Aber was kann der Einzelne machen?
Was jeder Einzelne von uns tun kann, ist zu versuchen, es erst gar nicht zu Infektionen kommen zu lassen. Das heißt, wir müssen verhindern, dass pathogene Bakterien und gerade Viren, die ja ohnehin nicht von Antibiotika erfasst werden, in unseren Körper gelangen und sich dort vermehren. Das muss vor allem für die Personen gelten, die besonders anfällig für Infektionskrankheiten sind. Dazu zählen Kleinkinder, durch Vorerkrankungen bereits immungeschwächte Menschen und vor allem ältere Menschen.
Die Gesundheit von Senioren scheint mir aktuell aus dem Blickfeld geraten zu sein, angesichts der demographischen Entwicklung verdient sie aber mehr Aufmerksamkeit.
Warum sind denn Senioren besonders betroffen?
Jeder Mensch hat im Laufe seines Lebens viele Kontakte mit Krankheitserregern. Das Immunsystem reagiert auf jeden Erreger mit auf ihn abgestimmten Immunzellen und Antikörpern und bildet so einen spezifischen Immunschutz aus. Dieser Teil des Immunsystems ist lernfähig und stellt sich auf die jeweiligen Erreger ein.
Wenn die Menschen älter werden, verändert sich das Immunsystem an zahlreichen Stellen. Beispielsweise können bestimmte Immunzellen nicht mehr so effektiv auf Erreger reagieren. Dies ist der Fall für die T-Zellen, eine wichtige Zellgruppe bei der spezifischen Abwehr von Krankheitserregern. T kommt von Thymus, dort werden die Immunzellen auf die Erreger geprägt. Das Immunorgan wird im Alter immer weiter abgebaut, ältere Menschen haben nur noch kleine Reste von Gewebe.
Wenn jetzt also ganz neue Erreger auftauchen, dann ist das Immunsystem nicht mehr so gut in der Lage, sich darauf einzustellen. Das kann beispielsweise auf Urlaubsreisen in südliche Länder ein Thema sein, wenn das Immunsystem auf völlig unbekannte Krankheitserreger trifft. Gegen alte Erreger wirkt das Immunsystem von alten Menschen dagegen noch gut.
Dann haben wir noch das angeborene Immunsystem, auch das wird immer schwächer im Laufe des Alters, sodass auftretende Infektionen ernster verlaufen. Die Symptome werden in der Regel stärker, die Krankheit dauert länger, kann sogar bisweilen chronisch werden. Und die Sterberate ist höher.
Wie hoch ist die Sterberate?
An Infektionen, heißt es in einschlägigen Artikeln, sterben Senioren 3-mal häufiger als Erwachsene mittleren Alters. Bei Atemwegserkrankungen wie der Grippe sind oft mehr als 90 Prozent der Grippetoten alte Menschen ab 70.
Worauf müssen Senioren besonders achten?
Was bei der Abwehr von Infektionen eine wichtige Rolle spielt, sind erst einmal die äußeren Körperbarrieren. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Haut Keime nicht durchlässt, dass man mit Hustenreflexen Erreger abhustet und dass die Magensäure Mikroorganismen und damit auch Krankheitserreger abtötet. Diese Barrieren sind bei älteren Menschen abgeschwächt.
Vielleicht haben Sie in diesem Sommer von den Vibrionen-Infektionen an der Ostsee gehört, die tödlich verlaufen sind, hier waren auch alte Menschen betroffen. Die Meeresbakterien können bei Menschen mit einer schwachen Immunabwehr durch kleinste Wunden in der Haut in den Körper gelangen und die Menschen ernsthaft schädigen.
Das Problem mit der Magensäure ist insofern wichtig, weil viele ältere Menschen Säureblocker gegen Sodbrennen oder bei Refluxkrankheiten nehmen. Da weiß man zum Beispiel, dass dann das Risiko einer Infektion mit Campylobacter 10-mal höher ist als bei Leuten, die diese Medikamente nicht nehmen. Weil eben die entsprechenden pathogenen Keime im Magen nicht abgetötet werden.
Darüber hinaus findet man insbesondere bei Menschen über 80, dass keine Magensäure mehr gebildet wird. Sie haben dann im Magen einen pH-Wert von 6 oder 7, da passiert hinsichtlich der Keimabtötung gar nichts mehr.
Im Alter steigt auch die Zahl der Tumorerkrankungen. Das Immunsystem bekämpft nicht nur Erreger, die von außen kommen, sondern auch entartete Zellen im Innern. Wenn das Immunsystem im Alter schwächer wird, sinkt dieser Schutz.
Was für eine Bedeutung haben Lebensmittelinfektionen?
Da sind vor allem Campylobacter, Listerien und Noroviren zu nennen, die besonders häufig und mit besonders schweren Symptomen zwei Altersgruppen treffen, einmal die sehr jungen Menschen und zum anderen die Senioren.
Die Listerien-Infektion kann über eine Durchfallerkrankung hinausgehen. Sie ist dann eine schwere Allgemeinkrankheit und endet manchmal sogar tödlich, vor allem bei Menschen mit schwachem Immunsystem. Lebensmittel werden schon zum Teil im Betrieb mit Listerien kontaminiert. Listerien sind vor allem dann eine Gefahr, wenn Lebensmittel roh gegessen werden. Häufig sind sie in geräucherten Fischprodukten wie Lachs nachweisbar. Da reicht das Räuchern nicht aus, um sie vollständig abzutöten. Menschen mit geschwächtem Immunsystem wird deshalb abgeraten, solche Lebensmittel zu essen.
Die in Deutschland häufigste Infektion ist die mit Campylobacter. Die Keime werden hauptsächlich über Geflügel verbreitet. Etwa 50 Prozent der Geflügelprodukte, ob frisch oder tiefgekühlt, sind mit diesen Keimen kontaminiert. Sie können auf den Menschen übertragen werden, wenn es in der Küche zu Kreuzkontaminationen auf Lebensmittel kommt, die nicht gegart werden. Das kann zum Beispiel vorkommen, wenn Personen das Messer, mit dem sie Geflügel geschnitten haben, ungereinigt für den Salat verwenden. Die Übertragung ist auch möglich, wenn Geflügel nicht vollständig durchgegart wird.
Wie kann man solche Infektionen vermeiden?
Bei den Lebensmittelinfektionen lässt sich sagen, dass Senioren, die sich selbst versorgen, auf eine gute Küchenhygiene achten müssen. Wichtig ist, dass die Erreger nicht über Hände oder Küchengeräte auf andere roh verzehrte Lebensmittel übertragen werden. Sie sollten außerdem Risikolebensmittel meiden. Das sind rohes Fleisch wie Mett, roher Fisch wie in Sushi, kurz gereifte Rohwürste wie Zwiebelmettwurst, marinierte oder geräucherte Fischprodukte, Rohmilch und Rohmilchkäse, Roheiprodukte wie zum Beispiel Tiramisu, ungegarte Sprossen sowie schon geschnittenes und verpacktes Obst und Gemüse.
Und darüber hinaus?
Neben einem gesunden Lebensstil mit ausreichendem Schlaf, Alkohol in Maßen, einer ausgewogenen Ernährung und viel Bewegung ist Impfen bei manchen Infektionskrankheiten für Ältere eine wichtige Sache. Die Ständige Impfkommission empfiehlt allen Menschen ab 60, sich gegen Grippe und auch gegen Pneumokokken, die Lungenentzündungen oder Hirnhautentzündungen auslösen können, impfen zu lassen. Ab 60 schon wird das Immunsystem allmählich schwächer.
Mit der Gesundheit von Senioren werden wir uns immer mehr beschäftigen müssen?
Ja, 20 bis 30 Prozent, je nachdem, wo man die Grenze ansetzt, sind heute schon alte Menschen. Das ist vielen nicht bewusst, dass sie besonders gefährdet sind.