Für viele ist Freiheit wahrscheinlich ein abstrakter Begriff. Irgendwie gehört er in unser Leben wie eine Zahnbürste auf das Waschbecken und doch kann man sich nicht viel darunter vorstellen. Vielleicht denkt man sich: Freiheit ist dasselbe wie Freizeit! Und Freizeit gibt es natürlich nur, wenn man nicht arbeitet. Doch wie sieht es in kreativen Berufen aus? Macht da diese strikte Trennung überhaupt Sinn? Ist nicht vielmehr die Arbeit der Ort der Freiheit, weil hier die Kreativität ausgelebt wird, die so tief in uns steckt? Am deutlichsten bekommt man das vielleicht in der Selbstständigkeit zu spüren. In keinem anderen Arbeitsmodell ist die Arbeit so starker Bestandteil des Lebens. Doch wie geht man damit um? Und ist die Selbstständigkeit wirklich für jeden geeignet? Tobias Wüstefeld ist seit 8 Jahren als selbstständiger Illustrator und Designer tätig. Ich habe ihn in Hamburg besucht, wo er mich an einem verregneten Sonntag lässig mit dem Fahrrad vom Bahnhof abholt. In seinem Atelier spreche ich mit ihm über die Selbstständigkeit, Miniatur-Inseln und warum drei Jahre in einer Agentur schon viel zu lang sein können. - von Veronica Broll 


Tobias Wüstefeld, du arbeitest unglaublich vielfältig. Du machst Illustrationen, 3-D-Animationen, Filme, Musik und studierst noch Neuropsychologie in Hamburg. Wie kommt es zu dieser ungeheuren Vielfalt und wie beeinflusst dich das in deinem visuellen Schaffensprozess?

Ich habe früher viel Graffiti gemacht. Über das Graffiti bin ich dann in die Musik reingerutscht, vor allem ins Hip-Hop-Beats-bauen. Viele Leute,
die damals dasselbe gemacht haben, begannen schließlich Design zu studieren. Irgendwie bin ich dadurch auch beim Design gelandet und habe dann erst mal die Musik an den Nagel gehängt. Und das mit der Neuropsychologie, irgendwann habe ich etwas über das Gehirn gelesen und war auf einmal unglaublich interessiert, wie das alles überhaupt funktioniert! Damals in der Uni wollte ich mich in ein paar Vorlesungen reinsetzen. Man konnte sich über die Note im Design-Studium bewerben und so bin ich dann da gelandet. Sonst wäre der NC für mein Abi nämlich viel zu weit entfernt gewesen!

Hattest du schon immer eine Agentin oder eine Agentur, die dich vertritt?

Nein, ich hab ganz frei angefangen. Ich muss sagen, da habe ich nach dem Studium wirklich Glück gehabt. Bei den meisten startet die Selbstständigkeit über Vitamin B, also man kennt jemanden, der einen kennt. Im Studium kannte ich einige Leute, die in Agenturen gearbeitet haben. Direkt nach meinem Diplom kam auch schon eine Anfrage. Ein erstes kleines Animationsprojekt. Eigentlich war ich gerade dabei, mein Portfolio zu erstellen, und habe deswegen einen sehr hohen Preis genannt, der aber aus heutiger Sicht auf jeden Fall fair war! Der Kunde hat direkt eingewilligt und seitdem bin ich irgendwie in die Selbstständigkeit hineingeschlittert. Bei der Agentin habe ich mich schon während des Studiums beworben. Das kann ich auch auf jeden Fall empfehlen!

Du teilst dein Atelier mit zwei weiteren Designern. Zu Hause wohnst du in einer Wohngemeinschaft mit sechs weiteren Personen. Das Leben und Arbeiten in Gemeinschaften hat viele Vorteile, vor allem der Austausch und das Teilen der Ressourcen. Was bietet im Gegensatz dazu die Arbeit allein zu Hause?

Ich hab diesen einen Satz von Charles Bukowski nie verstanden: "Communication is the greatest destroyer of talent". Also dass Kommunikation eher Talent zerstört. Das kann natürlich auch passieren. Ich war vor einiger Zeit auf einer Konferenz. Im 3-D-Bereich passiert es ganz oft, dass sich die Leute untereinander für eine bestimmte Sache feiern und dann alle nur noch dasselbe machen. Wenn man hingegen nur auf sich hört, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man wirklich etwas Eigenes entwickelt, viel höher, als wenn man immer versucht sich anzupassen. Andererseits sind andere Personen natürlich immer eine Quelle für Inspiration. Und da mag ich es auch, Input aus ganz anderen Bereichen zu bekommen.

Kommen wir nun zum Thema Selbstständigkeit. Was hält dich in der Selbstständigkeit? Wo siehst du in deiner Arbeit Vorteile dafür?

Ganz klar: erst mal der Arbeitsalltag! Ich kriege das immer bei anderen mit und es ist toll, wenn man seine Zeit ganz frei bestimmen kann. Manchmal habe ich zum Beispiel Momente, in denen ich feststelle: Heute ist ein Tag, da läuft's nicht so! Dann gehe ich schon um vier nach Hause, hau' mich vielleicht ne Stunde hin und mach danach noch ein paar Stunden weiter. Das ist oft viel effektiver, als sich zu Sachen zu zwingen.

Gibt es da auch Nachteile? Oder gab es Momente, in denen du gezweifelt hast, ob es richtig war, diesen Weg eingeschlagen zu haben?

Ja, das mit den Zweifeln kommt ziemlich schnell. Das geht auch gar nicht ganz weg. Ich habe ziemliches Glück gehabt mit dem 3-D-Bereich. Dieser ist aktuell ziemlich gefragt und es kommen immer Jobs rein. Aber es gibt auch Phasen, in denen sogar ein Monat lang keine Anfragen reinkommen, und dann sitzt man da und fängt an zu zweifeln. Man fängt schließlich an, eigene Projekte zu machen und sein Portfolio zu überarbeiten. Mit der Zeit wird man ruhiger und konzentriert sich auf die Sachen, in denen man gut ist.

Bei einer freiberuflichen Tätigkeit wird man häufig selbst zu einer Marke. An was denken die Leute, wenn sie deinen Namen hören?

Oh, ich glaube: Inseln! Ich habe mich viel mit diesen Miniaturwelten beschäftigt. Das ist irgendwann durch Zufall bei einer freien Arbeit entstanden. Im Endeffekt hat mir das echt viel Spaß gemacht, weil ich gemerkt habe, dass das ein sehr gutes Projekt fürs Portfolio wird! Jede zweite oder dritte Anfrage beruht auf diesem einen Projekt.

Ich sehe ja, dein Portfolio ist voll mit Inseln. Gibt es viele Anfragen zu dem Thema?

Manchmal ist das schon komisch, wenn man dann andere 3-D-Projekte mit Inseln sieht und denkt: Warum wurde ich denn nicht dafür angefragt? Viele Anfragen landen erst mal bei mir, aber parallel werden auch andere Illustratoren angefragt. Dann entscheidet sich der Kunde aufgrund von Kosten oder anderem Stil.

Also würdest du für das Portfolio empfehlen, sich eher auf ein Thema zu konzentrieren anstatt viele unterschiedliche Sachen zu zeigen?

Einerseits ist es gut, einen Wiedererkennungswert zu haben, aber andererseits muss man auch eine gewisse Breite zeigen. Für mich war das Inselthema vielleicht eine untypische Herangehensweise. Da konnte ich an einem Thema verschiedene Stile präsentieren. Ich persönlich finde es schwierig, mich nur auf einen Stil zu fokussieren. Es macht mir zu viel Spaß herumzuexperimentieren. Das hat natürlich den positiven Nebeneffekt, dass Kunden eventuell sagen: "Ah, der hat Sachen aus Papier". Dann bekomme ich auch mal Aufträge, die nicht zwingend Inseln sind, aber die in eine gewisse Stilistik gehen. Da gibt es noch genug andere Themen, mit denen man so etwas machen könnte.

Wie gehst du an neue Projekte heran?

Jedes Projekt startet mit einer Skizze. Ich mache Skizzen und gleichzeitig Mood Researchs. Bei den Mood Researchs schaue ich im Internet, was es schon gibt und welche Sachen stilistisch passen könnten. So geht man von innen und von außen an das Projekt heran.

Bei freien Projekten mache ich mir immer Notizen und mittlerweile teste ich diese auch ein bisschen mehr an, indem ich Style Frames baue. Jedes fünfte Projekt verfolge ich dann weiter. Früher habe ich viel öfter einfach drauflos gestartet. Da war ich allerdings am Ende oft unzufrieden. Aber ein bisschen unzufrieden ist man ja eh immer. Die andere Sache sind die angewandten Projekte mit Kunden und Agenturen. Ich mache viel für die Werbung und habe dafür eine eigene Illustrationsagentin, über die Werbeagenturen auf mich zukommen. Meistens ist es so, dass diese im Portfolio schon einen konkreten Stil oder eine konkrete Arbeit gesehen haben und es nur noch darum geht, mit dieser Sprache auf den Kunden individuell einzugehen.

Welche Bedeutung haben Routinen im Alltag für dich? Denkst du, Routinen kurbeln die Kreativität an? Oder ist es besser, hin und wieder etwas absolut anderes zu versuchen?

Es gibt viele unterschiedliche Arten von Routinen. Zum Beispiel, dass ich immer zwischen acht und neun hier im Büro aufkreuze. Das ist eine Form von Routine, denn wenn man einfach loslegt, dann passieren halt Sachen. Dann gibt es natürlich noch die anderen Routinen: ein Projekt vom Briefing bis zur Rechnung. Eigentlich ist jedes Projekt anders, aber man versucht trotzdem, immer eine gewisse Stabilität hineinzubringen. Manchmal ist es aber auch ganz gut, die Sachen einfach direkt umzuschmeißen. Gerade bei freien Projekten versuche ich, die Sachen meist komplett umzudenken. Manchmal denke ich mir: Vielleicht ist es jetzt gar nicht gut, eine Skizze zu machen, sondern besser etwas zu kneten! Oder etwas zu collagieren! Je nachdem wie die Art der Kommunikation am Ende sein soll. Manchmal mag ich es auch, einfach herumzuexperimentieren, aber trotzdem kommt man ja immer auf gewisse Routinen zurück. Da kann man sich, glaube ich, nicht dagegen wehren.

Kein Mensch ist perfekt. Gibt es Fehler, die du heute nicht mehr machen würdest?

Was mir vielleicht über die Jahre bewusst geworden ist, ist, dass viele Fehler aufgrund mangelnder Kommunikation passieren. Viele sehen den Kunden als Feind. Nach dem Motto: Ich muss den Kunden erziehen und ihm beibringen, was ein gutes Bild ist! Aber die wirklich wichtige Sache ist, gut mit dem Kunden zu kommunizieren und herauszufinden, was er wirklich will, um ihm dann zu sagen, was wirklich gut ist. Ich habe natürlich den Vorteil, dass ich viel mit Werbeagenturen zusammenarbeite. Bei einem Kunden, der gar nicht weiß, wie man über Bilder spricht, passieren die übelsten Sachen.

Was sind Eigenschaften, die man als Designer vielleicht besitzen oder lernen sollte, um als Freiberufler Erfolg zu haben?

Was ja oft so ein Problem ist, gerade bei Illustratoren, dass diese sich nicht wirklich verkaufen können oder auch nicht wollen. Um als Selbstständiger überleben zu können ist das sehr wichtig. Manchmal dauert es bei den Leuten ganze fünf Jahre bis die Notwendigkeit klar wird, dass man das machen muss. Wenn man damit große Schwierigkeiten hat, würde ich nahelegen, sich bei Agenten zu bewerben, damit andere Leute das für einen übernehmen. Illustratoren sind ja meistens nicht die Leute, die laut rumschreien und Werbung für ihre Sachen machen. Wahrscheinlich sind sie genau deswegen Illustratoren, weil sie zu Hause in Ruhe ihre Sachen machen wollen. Wenn jemand nur schlechte Sachen macht, diese aber gut und häufig präsentiert, dann wird er auch mehr gesehen und eher genommen.

Aber heißt es nicht: wenn du gut bist, wirst du schon Erfolg haben?

Ja, das schon. Ich habe allerdings schon ein paar Leute gesehen, die gut sind, aber nie etwas zeigen, ungesehen bleiben und sich dann auf Dauer einen anderen Job suchen. Andererseits gibt es natürlich auch Leute, die nicht so talentiert sind, die es aber draufhaben, sich gut zu präsentieren und dann Erfolg haben.

Würdest du jungen Leuten, die gerade ihren Abschluss gemacht haben und vielleicht noch nicht so viele Kontakte in der Designwelt besitzen, davon abraten, sich selbstständig zu machen?

Gerade im Kommunikationsdesign macht es auf jeden Fall Sinn, zuerst in einer Festanstellung zu arbeiten. Auch hier in Hamburg ist es meistens so, dass die Leute nur zwei Jahre in einer Agentur arbeiten. Wenn einer mal drei oder vier Jahre irgendwo ist, dann kommen schon komische Fragen wie: Stimmt mit dir irgendwas nicht, dass du schon so lange hier bist? Stell dir vor, du bist zwei Jahre in einer Agentur, wo die Leute ständig wechseln. Deine Arbeitskollegen von dort landen wieder in zig anderen Agenturen. Irgendwann, wenn du vielleicht acht Jahre gearbeitet hast, dann kennst du in ungefähr jeder Agentur Leute. Wenn du dich genau dann selbstständig machst, dann ist das natürlich perfekt. Dann hast du überall Ansprechpartner.

Was kannst du jungen Designern vor oder nach ihrem Abschluss mit auf den Weg geben?

Ich würde eigentlich Studenten empfehlen, möglichst früh auf irgendwelche Plattformen zu gehen. Behance oder Instagram. Ich habe zum Beispiel Instagram viel zu spät für mich entdeckt. Man muss nicht immer überall präsent sein, aber trotzdem ist es eine interessante Art, sich mit den eigenen Arbeiten auseinanderzusetzen. Instagram hat nun mal diese Flut an Bildern!

Was macht das mit einem selbst, wenn man sich dem aussetzt? Vielleicht ist es nicht das, was man will, aber man sollte es zumindest einmal probieren. Viele denken sich auch: wenn das Studium fertig ist, dann machen sie erst mal ihr Portfolio. Aber das Portfolio ist nichts in Stein Gemeißeltes. An einem Portfolio arbeitet man für immer. Es ist ein Lebensprojekt. Ich finde es außerdem wichtig, dass man immer ein gewisses Maß an Experimentierfreudigkeit mitbringt. Experimentieren ist eigentlich die einzige Möglichkeit, seinen Stil zu finden. Klar, ich kann mir jetzt natürlich Sachen zusammensuchen und sagen, ich nehme jetzt den Durchschnitt davon und das ist jetzt mein Stil. Aber das ist immer ein Durchschnitt. Um etwas wirklich Eigenes zu entwickeln muss man seinen eigenen Weg gehen. 

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