Die Preise für Kraftstoffe an den Tankstellen schwanken, häufig sogar mehrmals täglich. Ein Hauptgrund dafür ist der stark variierende Preis für Rohöl, an dem sich die beteiligten Unternehmen aller Wertschöpfungsstufen (z.B. Verarbeitung, Logistik, Vertrieb) indirekt orientieren. Doch wie schnell reagieren sie auf diese Preisschwankungen? Und wie werden steigende oder sinkende Rohölpreise an den Kunden weitergegeben?
Prof. Dr. Johannes Schwanitz hat das Elastizitätsdiagramm ursprünglich für die Messung von Zinsanpassungsreaktionen bei Banken in den 90er Jahren entwickelt und es 2016 auf den Kraftstoffmarkt übertragen. Damit steht nun allen Interessierten ein Tool zur Verfügung, welches das Preisverhalten der Mineralölindustrie vom Bohrloch bis zur Zapfsäule auf einen Blick transparent macht.
Weitere wissenschaftliche und methodische Hintergründe finden Sie u.a. bei Wikipedia !
Im folgenden Lernvideo wird erläutert, wie das Elastizitätsdiagramm funktioniert.
Reaktionen der Kraftstoffpreise auf den Rohölpreis lassen sich ganz einfach am Elastizitätsdiagramm ablesen. Sehen Sie hier in wenigen Schritten erklärt, wie das Elastizitätsdiagramm funktioniert und sich die Preise im Zeitablauf ändern. Die Analyse der einzelnen Phasen macht Schritt für Schritt deutlich, wie durch Verzögerung der Preisanpassungen Margenspielräume entstehen. In den linken Abbildungen sehen Sie jeweils den Preisverlauf von Rohöl und Benzin über einen bestimmten Zeitraum. Dieser farbig markierte Abschnitt wird in der Abbildung rechts mit dem jeweiligen Elastizitätsdiagramm näher unter die Lupe genommen: Es zeigt auf einen Blick die beiden Tageswerte von Rohöl- (X-Achse) und Produktpreis (Y-Achse). Zum Vergleich sehen wir eine Gerade mit der Referenzelastizität von 1,0. Das heißt, hier erfolgt die Anpassung von Rohöl- und Produktpreis im Verhältnis 1:1.
Wir betrachten den Zeitraum von Januar bis August 2015. Anfang Februar beginnt eine erste Preisanstiegsrunde der Kraftstoffpreise als Reaktion auf den Rohölpreis.
Bis zum März wurde jeder Cent Preisanstieg beim Rohöl mit 1,5 Cent an den Zapfsäulen weitergegeben. Die Elastizität betrug also 1,5, wodurch sich die Marge erhöhte. Ende Februar und März 2015 hat der Marktpreis wieder das Niveau von Dezember 2014 erreicht und bewegte sich rleativ stabil zwischen ca. 33 und 34,5 Cent.
Im betrachteten Zeitraum gibt es sogar noch eine zweite Preisanstiegsrunde, nämlich ab April 2015. Sie lässt sich allerdings erst durch das Elastizitätsdiagramm gut erkennen.
Diese zweite Preisanstiegsrunde erreichte mit einer noch höheren Preisreaktion (Elastizität: 1,6) bis Mitte Mai 2015 einen Rohölpreis von 37,5 Cent. Ab diesem Zeitpunkt kann man die für eine verzögerte Preisanpassung typische Anpassungsschleife erkennen (s. Video-Tutorial oben). So geht der Rohölpreis ab Ende Mai 2015 bis auf wenige Unterbrechungen kontinuierlich zurück. Allerdings werden diese Preissenkungen mit einer durchschnittlichen Elastizität von unter 1 an den Zapfsäulen weitergegeben.
Über einen Zeitraum von rund 100 Tagen sind dadurch Margenausweitungen für die gesamte Wertschöpfungskette von ca. 15 Cent pro Liter erzielt worden.
Probieren Sie es aus und informieren Sie sich über Preisreaktionen in einem von Ihnen gewählten Zeitraum (Zeitreihen mit 10-Tages-Durchschnitten bis 31.05.22 und ab 01.06.22):
In Deutschland fahren aktuell insgesamt ca. 48,5 Mio. PKW, 4,8 Mio. Krafträder und 3,6 Mio. LKW auf den Straßen. Gemeinsam strömen dabei täglich 164 Mio. Liter Kraftstoff durch die Zapfsäulen.
48,5 Mio. PKW
(63,9% Benzin- und 30,5% Diesel-Fahrzeuge)
3,6 Mio. LKW
Zugmaschinen und Kraftomnibusse
4,8 Mio. Krafträder
Ottokraftstoff (Benzin und Super)
20,8 Mrd. Liter
Diesel
39,1 Mrd. Liter
Summe: 59,9 Mrd. Liter Kraftstoff, entsprechen 164 Mio. Liter am Tag!
Pro Liter in €
Quelle: Bundesministerium der Finanzen
Der weltweite Rohölmarkt wird von den OPEC-Staaten maßgeblich mitbestimmt. Dieser seit den 1960er Jahren bestehende Verbund strebt eine monopolistische Machtstellung an und lieferte im Jahr 2014 ca. 35% des weltweit geförderten Rohöls. Die Mineralölunternehmen kaufen das Rohöl und verarbeiten es in Raffinerien zu unterschiedlichen Kraftstoffen, unter anderem auch zu Benzin und Diesel. Das Endprodukt wird dann an Tankstellen an die Verbraucher verkauft, wobei aufgrund des dynamischen Börsengeschehens für Rohöl auch die Tankstellenpreise stark variieren. Diese Schwankungen führen seit jeher zu Spekulationen über Preisabsprachen, mit denen versucht wird, die Margen zu erhöhen.
Erst mit der Einführung der Markttransparenzstelle für Kraftstoffe beim Bundeskartellamt im Oktober 2013 sind tagesaktuelle Analysen des Preisanpassungsverhaltens möglich. Die zur Verfügung gestellten Informationen sind bisher aber ausschließlich für zugelassene Dienstleister (z.B. ADAC, App-Entwickler, Preis-Portale) verfügbar.
Prof. Dr. Johannes Schwanitz
Institut für Technische Betriebswirtschaft
Bismarckstraße 11, 48565 Steinfurt, Raum: HGI 112
Tel: 02551 9-62542
Fax: 02551 9-62707
schwanitz@fh-muenster.de
Sabrina Hofscheuer, B.Eng.
Institut für Technische Betriebswirtschaft
Bismarckstraße 11, 48565 Steinfurt
sabrina.hofscheuer@fh-muenster.de
Leon Bergmann, M.Sc. Wirtsch.-Ing.
Institut für Technische Betriebswirtschaft
Bismarckstraße 11, 48565 Steinfurt
leon.bergmann@fh-muenster.de