Pflegefachkräfte aus dem Ausland: Ganz so einfach ist es nicht

Krankenhäuser und Einrichtungen in Deutschland haben ein Problem: Es fehlen qualifizierte Pflegefachkräfte. Deshalb werden sie vermehrt aus dem Ausland akquiriert. Warum das den Pflegekraftmangel nicht ernsthaft bekämpft, wieso der Beruf ein Imageproblem hat und was andere Länder besser machen, darüber sprechen wir mit Prof. Dr. Rüdiger Ostermann und Prof. Dr. Claudia Oetting-Roß von unserem Fachbereich Gesundheit.

Frau Prof. Oetting-Roß, ausländische Pflegefachkräfte zu akquirieren – die Idee klingt doch erst mal gut. Oder nicht?

Prof. Oetting-Roß: Auf den ersten Blick schon. Aber wenn man genauer hinguckt, gibt es etliche Probleme, vor allem bürokratischer Art. Denn wer aus dem Ausland nach Deutschland kommt, um hier als Pflegefachfrau oder -mann zu arbeiten, muss eine sogenannte Gleichwertigkeitsprüfung machen. Dabei prüfen bislang verschiedene Institutionen die Berufsausbildung und die Sprachkenntnisse – und das dauert. Es vergehen mehr als sechs Monate, bis die Anerkennung durch ist. Zwar hat das Land NRW auf diese Problematik reagiert und das Anerkennungsverfahren ab 2020 bei der Bezirksregierung Münster zentralisiert, die Auswirkungen dieser Zentralisierung sind jedoch frühestens im kommenden Jahr zu erwarten. Und dann gibt es häufig kulturelle oder sprachliche Barrieren, die alle Beteiligten vor Herausforderungen stellen. Wenn ausländische Fachkräfte auf Patienten im Münsterland treffen, die womöglich auch noch Platt sprechen, wie soll das funktionieren? Außerdem gibt es auch eine ethische Dimension: Wir können keine Fachkräfte aus Ländern rekrutieren, in denen wir dadurch womöglich einen Pflegenotstand verursachen oder diesen verschärfen. Aus meiner Sicht ist das Anwerben von ausländischen Pflegekräften maximal ein Baustein in dem großen Versuch, mehr Pflegepersonal zu gewinnen, mehr aber nicht.

 

Was wäre außerdem wichtig, Prof. Ostermann?

Prof. Ostermann: Zuallererst müsste man sich um die Ausbildung kümmern. Alle Pflegekräfte in der EU absolvieren keine Ausbildung, sondern direkt den Bachelor, und in dem Studium ist der praktische Teil integriert. Nur wir in Deutschland und die Luxemburger machen das anders. Wer bei uns Pflegekraft werden will, muss zunächst die dreijährige Ausbildung absolvieren. Das allein reicht vielen aber nicht, sie wollen einen akademischen Titel, müssen also im Anschluss noch studieren. Beides dauert sechs Jahre, das Gehalt bleibt trotz Bachelorabschluss weitestgehend identisch, und all das schreckt ganz einfach ab. Ich bin sicher, dass sich mehr Leute für den Pflegeberuf entscheiden würden, wenn er akademisch wäre, also keine Ausbildung, nur Studium mit Praxisteil. So etwas versuchen wir durch unseren dualen Studiengang Pflege.

 

Aber würde das nicht dazu führen, dass immer mehr Pflegekräfte in höhere Positionen kommen und weniger die eigentliche Pflege durchführen?

Prof. Ostermann: Das ist ein Denkfehler. Ärzte hören ja auch nicht auf, mit Patienten zu arbeiten, nur, weil sie studiert haben. Warum sollte das beim Pflegepersonal anders sein? Natürlich kann man nicht nur pflegen, sondern auch Pflegeforschung betreiben und zum Experten in einem Teilbereich werden – das gilt für Ärzte gleichermaßen. Aber allen ist klar: Studierte Pflegekräfte bleiben ‚am Bett‘, wie wir sagen, egal, welche Position sie haben. Genau wie Ärzte immer mit Patienten arbeiten.  

 

Arzt zu werden, das ist für viele ein Traumberuf. Für Pflegefachkräfte gilt das nicht. Hat dieser Beruf ein Imageproblem, Prof. Oetting-Roß?

Prof. Oetting-Roß: Ganz eindeutig: ja! Die Arbeitszeiten sind nicht familienfreundlich, die Bezahlung ist schlecht und das Bild in der Gesellschaft, was Pflege eigentlich tut, sehr ungenau. Was viele nicht wissen: Wer Pflegefachkraft ist, braucht ausgeprägte kommunikative Fähigkeiten, ein feines soziales Gespür und ein enormes fachliches Wissen. Mit der sterilen Idylle, die gern auf Imagebildern präsentiert wird, hat dieser Beruf nichts zu tun. Auch die Zahlen sprechen für sich: Sechs Prozent der Berufsanfänger sind bereit, in die Pflege zu gehen, das wären bundesweit also 50.000 bis 60.000 Menschen. Doch die dreijährige Pflegeausbildung fangen nur 35.000 an. Der Rest entscheidet sich für was Anderes.

 

Also müsste man hier ansetzen?

Prof. Ostermann: Ganz genau! Bis 2010 wurde Pflegepersonal systematisch abgebaut, weil es einfach als nicht so wichtig empfunden wurde. Die Anzahl der Ärzte hat sich jedoch erhöht, und diese Auswirkungen spüren wir jetzt. Schuld daran ist neben all den anderen bereits erwähnten Punkten auch, dass Gelder falsch verteilt wurden und werden. Die Hochschulen müssen Studienplätze schaffen, ohne Gelder geht das aber nicht. Dabei sind wir nicht untätig: Die Pflegewissenschaft-Dekane in NRW treffen sich regelmäßig untereinander und mit der Politik. Wir wollen die Probleme angehen und Lösungen finden. Und die Zeit drängt, denn die Situation wird immer schlimmer!

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