Dabei war der Praktikumsplatz für seine Abschlussarbeit in Cádiz längst sicher, das Projekt zur Optimierung von Microcontrollern abgesprochen und der Flug gebucht, als die Corona-Pandemie Tim Ende März dazu zwang, alles umzuplanen. „Zuerst wurde mein Flug gecancelt, dann hat sich die Universidad de Cádiz nicht zurückgemeldet. Bis Mitte April war völlig unklar, wie es für mich weitergeht“, schildert der Student die Situation. Sein Prüfer Prof. Dr. Peter Glösekötter vom Labor für Halbleiterbauelemente und Bussysteme konnte helfen. Er kontaktierte seinen Freund Prof. Dr. Ignacio Rojas Ruiz an der Universidad de Granada, den er von seiner Zeit als Gastwissenschaftler dort kennt. Mit Erfolg: Rojas Ruiz und sein Kollege Prof. Dr. Héctor Pomares Cintas stimmten zu, Tim aus der Ferne zu betreuen.
Jetzt musste schnell ein neues Thema für die Abschlussarbeit her. „Statt mit Microcontrollern habe ich mich mit Deep Learning beschäftigt, das ist ein Teilbereich des Machine Learnings“, erzählt Tim. Er bekam einen Datensatz von rund 30.000 MRT-Bildern des menschlichen Gehirns. Die Aufnahmen stammten von unterschiedlichen Personengruppen: Alzheimer-Erkrankte, Menschen mit einer leichten kognitiven Beeinträchtigung in unterschiedlichen Stadien, Menschen mit subjektiver Gedächtnisminderung und eine gesunde Kontrollgruppe. „Ich habe ein neuronales Netz entwickelt, das Muster auf den Gehirnscans erkennt“, erklärt er. Das Ziel ist, eine künstliche Intelligenz zu schaffen, die anhand eines MRT-Bildes vorhersagt, welcher der Gruppen ein Patient angehört – und dabei gründlicher arbeitet als ein Arzt, der kleinste Veränderung in der Hirnstruktur mit bloßem Auge leicht übersehen kann. Die Ergebnisse der Bachelorarbeit möchten die Professoren gemeinsam mit Tim auf einer internationalen wissenschaftlichen Fachkonferenz vorstellen.
Mit seinem neuen Projekt und Arbeitsalltag hatte sich Tim schnell arrangiert. Von montags bis freitags arbeitete er täglich von 9 bis 17 Uhr am Computer, etwa alle zwei Wochen besprach er mit Glösekötter, Rojas Ruiz und Pomares Cintas per Videokonferenz den aktuellen Stand und anstehende Aufgaben. „Ich bin echt froh, dass es geklappt hat, auch wenn ich natürlich lieber in Spanien gewesen wäre“, sagt Tim. Seine Hauptmotivation für einen Auslandsaufenthalt konnte er trotzdem in die Tat umsetzen: „Ich wollte Sprachen lernen und das hat geklappt. Mein Anfänger-Spanisch konnte ich zwar nicht vertiefen, da der fachliche Austausch mit meinen Betreuern dafür zu kompliziert war, aber mein Englisch hat sich enorm verbessert.“
Nach seinem Bachelorabschluss möchte Tim noch einen Master anhängen. In Enschede gebe es ein interessantes Programm mit Bilderkennung als Vertiefungsmöglichkeit, berichtet der Student. Doch auch Rojas Ruiz und Pomares Cintas sind begeistert von Tim und haben ihm bereits angeboten, in Granada im Bereich Informatik zu studieren. So unerwartet das Sommersemester für Tim auch gelaufen sein mag, so steht für ihn dennoch fest: „Erst durch das virtuelle Praktikum traue ich mir überhaupt zu, im Ausland zu studieren. Und ich habe meine Begeisterung für Deep Learning entdeckt.“
Von Jana Schiller